Die verschollene Karawane
»Mein guter alter Freund, der stellvertretende Direktor dieses Museums, hat gefunden, wonach du gefragt hast, Jahzara. Aber ich sage dir gleich, er handelt sich dicken Ärger ein, wenn jemand dahinterkommt, dass er dir diese Dokumente über mich zugänglich macht. Was, wenn ich fragen darf, sucht ihr eigentlich genau? Wer interessiert sich schon für den Schriftverkehr zwischen dem portugiesischen Königshaus und dem Vatikan im 16. Jahrhundert? Damals herrschte doch eitler Sonnenschein zwischen Rom und Lissabon. Der Papst hatte jedem seiner gottgläubigen Vasallen die Hälfte der zu entdeckenden Welt zugesprochen. Was die Völker dort von ihren neuen Herren dachten, interessierte den Heiligen Vater wohl kaum. Für ihn waren das sowieso Heiden.«
Pauline führte sie durch die Flure des Museumsarchivs in einen klimatisierten und verdunkelten Raum, der bis unter die Decke mit Kartons vollgepackt war. »Das Archiv ist leider eine Baustelle. Mein Freund lässt sich entschuldigen. Er hat einen Termin außerhalb, hat aber arrangiert, dass wir hier wissenschaftliche Forschungen tätigen dürfen – ganz offiziell! All diese Kisten stehen wahrscheinlich schon seit dem großen Erdbeben im Jahre 1755 hier. Niemand weiß so recht, was da drin ist!«
Peter konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Pauline war ein sympathisches Unikum. Wenn sie sprach, verdrehte sie viel sagend ihre großen Augen, gestikulierte mit Händen und Armen, legte Falten des Grimms über ihre Stirn und wusste, darüber war er sich sehr schnell im Klaren, sehr genau, was sie sagte. »Sind sie Historikerin, Pauline?«
Sie hielt beim Auspacken einiger verstaubter Akten inne. »Weil ich schon immer wissen wollte, warum alle Portugiesen so traurig, wehmütig und melancholisch sind und ihre Wehmut mit viel Wein und Fado auch noch nähren, habe ich Psychologie studiert. Seitdem verstehe ich meine Landsleute überhaupt nicht mehr. Dann dachte ich, dass für ein Verständnis der Geschehnisse auf dieser Welt ein Studium der Geschichte hilfreich sein könnte. Das war Anfang der 70er-Jahre, zu der Zeit, da ganz Portugal Grândola vila morena sang und die Nelkenrevolution die vage Hoffnung aufkeimen ließ, dass sich wirklich etwas ändert. Leider habe ich als nunmehr promovierte Historikerin erkennen müssen, dass die Menschen sehr einfältige Geschöpfe sind, dass sie aus den Geschehnissen der Vergangenheit nicht lernen können, ergo dazu verdammt sind, immer und immer die gleichen Fehler zu begehen. Seit ich das weiß, suche ich Erlösung als Bibliothekarin. Ich verwalte Altes. Und ich versuche Wissen zu ordnen, damit wenigstens die nächste Generation aus der Vergangenheit lernen kann.«
Peter war beeindruckt. Pauline hatte in nur wenigen Sätzen sowohl ihren beruflichen Werdegang als auch ihre persönliche Lebenseinstellung skizziert. Gewisse Enttäuschungen waren nicht zu überhören gewesen. Dennoch ahnte er zumindest, zu welchen Informationen Jahzaras Mutter Zugang hatte.
Eine Stunde später, Pauline hatte sie in dem Archivraum allein gelassen, stieß Jahzara auf die Unterlagen, die sie gehofft hatte, zu finden: »Ich glaube es einfach nicht! Wahnsinn!«
Sie wühlte hektisch in einem Karton mit vergilbten Schriftrollen und Dokumenten. Einige trugen prächtige Siegel. Sie war fassungslos.
»Das Sion -Dossier.« Mehr sagte sie nicht.
» Sion -Dossier?« Peter hatte das Gefühl, dass die geheimnisvolle Aura, die Jahzara plötzlich ausstrahlte, auch ihn erfasste.
Sie flüsterte: »Das hier sind Briefe, Protokolle und teils als streng geheim klassifizierte Berichte von Spitzeln des damaligen portugiesischen Königs. Sion ist die griechisch-lateinische Schreibweise für Zion, die auserwählte Stadt Gottes – Jerusalem! Das äthiopische Volk, das solltest du wissen, versteht sich seit jeher als Volk Zions, dessen auserwählte Stadt Aksum ist. Dort steht auch die Kirche Maryam Sion, und dort soll sich die Bundeslade befunden haben – oder noch immer dort stehen. Es gibt allerdings auch eine äthiopische Legende, die besagt, dass die Bundeslade schon viel früher nach Äthiopien gebracht und jahrhundertelang auf einer Insel im Tanasee in einem Kloster aufbewahrt wurde, bevor sie dann in diese Kirche gelangte.«
Peter horchte auf. Angestrengt überlegte er. Ging es am Ende um die Bundeslade, eines der größten Mysterien der Christenheit? Was ihn so aufwühlte, war Jahzaras Erwähnung des Tanasees, also des Ortes, an dem die geheimnisvolle Karawane mit an
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