Die verschollene Karawane
irgendjemanden davon erzählt, dass mir die Kopie des Dossiers gestohlen wurde – « Jahzara hielt abrupt inne und schaute ihn entsetzt an. Sie suchte nach Worten und verdrehte die Augen auf höchst merkwürdige Weise. Dann schritt sie eilig zu ihrem Glasschreibtisch vor dem Fenster, riss ein Blatt Papier aus dem Drucker und griff nach einem Kugelschreiber. Bevor sie zu schreiben begann, blickte sie in seine Richtung und signalisierte ihm mit einem über den Mund gepressten Zeigefinger, zu schweigen. Hastig kritzelte sie einige Sätze auf das Blatt. Er konnte sehen, wie aufgeregt sie atmete. Von Weitem streckte sie ihm das Papier entgegen: »Wir werden abgehört. Mein Handy! Lass uns in eine Bar gehen.«
Jahzara begann wie ein Wasserfall zu reden, kaum dass sie einen Platz in der Bar des Chapitô gefunden hatten. Ihre Augen funkelten. Sie war wütend, aber auch ängstlich.
»Außer dir habe ich nur einem Menschen von dem Zwischenfall mit dem Dossier erzählt: meiner Mutter. Dir habe ich es persönlich gesagt. Da konnte niemand mithören. Mama habe ich es am Telefon erzählt! Peter, das Kultusministerium hat heute verfügt, dass das Sion -Dossier unter Verschluss genommen wird. Mama hat keine Ahnung, wieso. Sie ist sicher, dass niemand im Archiv was von der Aktion mitbekommen hat. Also gibt es nur eine Erklärung. Mein Handy wird abgehört! Da sind Leute bestrebt, den Inhalt dieses Dossiers der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Wer immer das auch ist, sie haben mitgehört. Erst klauen sie mir die Kopien. Und jetzt wollen sie sicherstellen, dass ich nicht mehr an das Dossier rankomme. Das ist absoluter Wahnsinn! Was sind das für Leute, Peter? Wer hat so viel Macht, die bis in Kultusministerium reicht?«
Peter nahm ihre Hand und versuchte, sie zu beruhigen. »Wahrscheinlich hast du Recht mit deiner Vermutung. Möglicherweise sind in deiner Wohnung auch Wanzen versteckt. Die haben gewusst, dass du dich mit deiner Mutter getroffen hast, um die Kopien des Dossiers abzuholen. Wenig später haben sie dich überfallen. Die wussten wahrscheinlich auch, dass du nach Venedig reist. Und von meiner Verabredung mit Charles am Roten Meer und in Burano. Sie wussten alles! Nicht nur dein Handy wird abgehört. Charles ist auch abgehört worden. Vielleicht ist mein Handy ebenfalls angezapft. Das sind mächtige, sehr gefährliche Leute, Jahzara! Die wollen etwas haben, von dem wir beide nicht mal genau wissen, was es ist.«
Er bemerkte plötzlich, dass er noch immer Jahzaras Hand festhielt. Ihre Handflächen waren feucht. Dennoch spürte er, dass sie den Körperkontakt mit ihm als angenehm empfand. Verlegen wich er ihrem Blick aus. Ihre Handtasche erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Gedankenblitz durchzuckte ihn. Die großen Seemuscheln, die als Halterung für die Träger in das Leder eingearbeitet waren! Hatte sie nicht erzählt, dass sie das Gefühl gehabt habe, ein Fremder sei in ihrer Wohnung gewesen? Nun legte er einen Zeigefinger über seinen Mund und signalisierte ihr damit, zu schweigen. Er holte einen Kugelschreiber aus seiner Jacke, schrieb etwas auf einen Bierdeckel: »Nur noch Belangloses sprechen. Wanzen! Du musst dich ausziehen!«
Jahzara starrte ihn entgeistert an. Er griff nach einem zweiten Bierdeckel. Ihre Augen folgten seinen Zeilen: »Wir gehen auf die Toilette. Zieh dich dort aus. Ganz. Ich auch. Vielleicht tragen wir Abhörgeräte mit uns.«
Peter sah Jahzara in die Augen. Ihr Blick signalisierte ihm grenzenloses Vertrauen – und Panik. Sie standen auf und gingen durch den Garten auf zwei Türen des Nebentraktes zu. Jahzara verharrte, schaute ihn verunsichert an.
Durch ein Kopfnicken deutete Peter auf die Damentoilette. Er blickte sich um. Niemand beobachtete sie. Sein Puls begann, schneller zu pochen. Er war sich bewusst, was für eine skurrile Situation gleich entstehen würde.
In der Damentoilette gab es zwei nebeneinanderliegende Kabinen. Er wies sie lautlos an, die rechte zu nehmen. Mittels Handzeichen forderte er sie auf, sich gänzlich auszuziehen und ihm ihre Sachen unter der Trennwand der beiden Toiletten hindurchzuschieben.
Jahzara grinste. Sie presste sich eine Hand auf den Mund, um nicht lauthals loszulachen. Auch er musste sich beherrschen. Sie schauten sich in die Augen. Für einen Moment war da keine Angst mehr, nur Vertrauen und Begehren.
Peter atmete tief durch, öffnete seine Kabine und schloss die Tür hinter sich. Er hörte, wie sich Jahzara nebenan auszog. Er zitterte. Die
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