Die verschollene Karawane
wie hier in Lissabon. Dein Vater hat sich übrigens, wie von dir erbeten, mit einigen Freunden in Addis Abeba in Verbindung gesetzt. Er wird versuchen, dass diese Leute dir als Gesprächspartner zur Verfügung stehen, wenn du nach Hause fliegst. Jetzt aber genug von diesem Thema. Mich interessiert was ganz anderes. Und zwar dieser Peter. Er ist nett, ein sehr interessanter Mann. Aber ein bisschen alt für dich, oder?«
Pauline lächelte ihre Tochter an. Sie sah, wie Jahzara verlegen wurde.
»Was du schon wieder denkst. Sicherlich ist er nett. Sehr nett sogar. Er ist einer der wenigen Männer, die nicht gleich mit mir ins Bett gehen wollen. Zudem ist er sehr einfühlsam und klug.«
Pauline riss erstaunt die Augen auf. »Der will nicht mit dir ins Bett? Mit der hübschesten Äthiopierin Lissabons?«
»Ach, Mama, du weißt schon, wie ich das meine. Natürlich sehe ich in seinen Augen auch Begierde. Aber er stiert mir nicht so unverfroren auf meinen Hintern wie die anderen Männer. Er hat Stil. Außerdem respektiert er mich. Und er liebt Afrika.«
Pauline lachte schelmisch. »Vorsehung, meine kleine Prinzessin! Was da geschieht, kannst du als Wink des Schicksals betrachten. Charles wollte, dass ihr euch in Venedig kennen lernt. Gottes Fügung hat es verhindert. Und jetzt habt ihr euch hier in Lissabon getroffen. Vielleicht will er mit dir nach Äthiopien fliegen. Weiß er schon, dass du demnächst abreist?«
»Nein, ich habe es ihm noch nicht gesagt. Momentan ist alles so aufregend. Ich komme überhaupt nicht dazu, in Ruhe nachzudenken. Er ist jetzt in der Nationalbibliothek. Heute Abend treffen wir uns wieder. Bis dahin habe ich mir das Dossier durchgelesen. Und vielleicht sage ich ihm dann auch, dass ich fliegen werde. Ob ich aber möchte, dass er mitkommt, weiß ich noch nicht so recht. Er ist Mitte, vielleicht sogar schon Ende vierzig, und ich bin gerade mal achtundzwanzig! Außerdem nimmt mich meine Dissertation voll in Beschlag. Das ist die Chance meines Lebens! Jetzt fahre ich erst mal nach Hause und vergrabe mich in diese Dokumente.«
Wenig später verließen Pauline und Jahzara das Kulturzentrum. Arm in Arm schlenderten sie durch die Parkanlagen entlang der Avenida da Índia. Es war angenehm warm. Die Palmen wiegten sich im Mittagswind. Zwei Hochseeschiffe tuckerten am Entdeckerdenkmal vorbei den Rio Tejo entlang.
Jahzara hielt ihre große Handtasche mit den Dokumenten unter ihrem rechten Arm gepresst. In Höhe der Straßenbahnhaltestelle gegenüber dem Kloster blieben beide am Straßenrand stehen.
»Lass es dir gut gehen, Jahzara! Sei vorsichtig. Wenn ich ehrlich sein soll, dann wäre es mir lieber, wenn dieser Peter sich für dich interessieren und in deiner Nähe bleiben würde. Was in Venedig und hier geschehen ist, bereitet mir große Sorgen. Das ist eine sehr gefährliche Sache, an der du recherchierst. Ein Mann in deiner Nähe würde mich beruhigen.«
Eine Viertelstunde später stieg Jahzara an der Straßenbahnhaltestelle an den Cais do Sodré aus. In der völlig überfüllten Straßenbahn hatte sie sich nicht getraut, ihre Handtasche zu öffnen, um in den Dokumenten zu blättern. Sie brannte darauf, endlich nach Hause zu kommen, um das Dossier zu sichten. Nervös stieg sie aus. Wie immer herrschte auf der Avenida da Ribeira das Naus extrem viel Verkehr. Die Fußgängerampel zeigte rot an. Ihre Gedanken waren bei Peter. Er war irgendwo in der Stadt, um von den Fotos, die er von den Dokumenten gemacht hatte, Abzüge machen zu lassen. Die würden sie nun nicht mehr benötigen. Sie hatten nun Kopien des kompletten Dossiers – und damit vielleicht Beweise für all das, was bislang nur als vager Verdacht oder als Fantasien des unbekannten Buchautors im Raum gestanden hatte.
Plötzlich hatte Jahzara das Gefühl, beobachtet zu werden. Panisch blickte sie sich um. Hinter ihr standen dutzende Menschen: Männer, Frauen, Kinder. Aber kein Araber! Ihr Blick schweifte über die Menge. Die Ampel schaltete um. Ängstlich presste sie ihre Handtasche unter den Arm und ließ alle Fußgänger an sich vorbei auf den Zebrastreifen gehen. Da war niemand, der verdächtig aussah.
»Du fängst an zu spinnen, Jahzara«, murmelte sie leise vor sich hin. Demonstrativ hängte sie ihre Handtasche leger über die Schulter. Ganz locker, ermahnte sie sich, nicht so verkrampft. So wie du hier gehst, ahnt jeder Handtaschendieb, dass du etwas Wertvolles mit dir trägst. Also ganz ruhig!
Sie war gerade zwei Schritte auf dem
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