Die verschollene Karawane
Freund, der an der Uni Arabistik lehrte, hatte vor Jahren mal scherzhaft gesagt: »Was, wenn in dieser Bundeslade überhaupt nicht das drin war oder ist, was die Kirchenfürsten in Rom uns seit Jahrtausenden einreden? Was, wenn es die Zehn Gebote gar nicht gibt? Stell dir mal vor, da liegen Steintafeln in arabischer Schrift drin! Vielleicht steht da nichts von Moses, sondern von Mohammed, nicht von Gott, sondern von Allah. Wer weiß?« Natürlich hörte sich das absurd an. Fakt jedoch war, dass sich alle drei großen Weltreligionen im Laufe der Zeit unter den Völkern der arabischen Wüste entwickelt hatten. Als Erstes das Judentum, danach das Christentum, schließlich der Islam. Zwischen diesen Religionen gab es höchst wundersame Parallelen. Das Christentum zählt zu seinen heiligen Büchern auch das Alte Testament der Juden; die Moslems wiederum sehen neben den jüdischen Propheten ebenso Johannes und Christus als ihre Propheten an. Stammvater aller Religionen ist Abraham. Der Erzengel Gabriel ist Mohammed angeblich in menschlicher Gestalt erschienen. Und die Bundeslade spielt für die Juden und Christen und erstaunlicherweise auch für die Moslems eine Rolle.
Peter war sich sicher, dass Jahzara über diese eigentümlichen Übereinstimmungen viel mehr wusste als er. Charles auch. Dennoch gab es irritierende Aspekte. Jahzara hatte ein Gespräch mit dem Direktor des Marinemuseums in Venedig geführt. Bislang wusste er von diesem Gespräch absolut keine Einzelheiten. Wieso eigentlich nicht? Charles hatte gewollt, dass Jahzara auf ihn und er auf sie angewiesen war. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als mit ihr gemeinsam weiterzurecherchieren. Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, was Jahzara wirklich wollte und was sie wusste: mit ihr zusammen nach Äthiopien fliegen.
»Jahzara, ich bin dabei! Ich kann nicht widerstehen. So etwas passiert einem nur ein Mal im Leben. Außerdem komme ich dann endlich wieder nach Afrika! Vorher sollten wir allerdings sicherstellen, dass wir diese Kriminellen loswerden. Dazu sollten wir uns in nächster Zeit an einem anderen Ort aufhalten, nicht bei dir in der Wohnung. Weiß der Teufel, was diese Mistkerle aushecken! Jetzt sind sie erst mal damit beschäftigt, unsere Handys auf der Reise durch Europa zu verfolgen. Sehen wir es mal ganz pragmatisch: Wir haben einige Trumpfkarten in der Hand! Zum Beispiel die zwanzig Seiten des Sion -Dossiers, die ich fotografiert habe. Zusammen mit dem Buch von Charles, der Landkarte, den Informationen vom Direktor des Museums in Venedig sowie deinen Hintergrundinformationen über Kaiserin Eleni und Heinrich den Seefahrer wissen wir mehr, als die ahnen. Da sollten wir etwas draus machen.«
9.
K airo lag unter einer Dunstglocke aus Abgasen und rotgelbem Wüstenstaub. Das Atmen fiel den beiden Sufis des Al-Sakina-Ordens schwer. Die dicken Gläser der Brille des einen Mannes waren von dem feinen Staub, der in der Luft lag, verdreckt. Selbst in seinem gestutzten Kinnbart hingen Sandpartikel. Abdul Qadir Dschila und Hasan al-Basri saßen auf der Terrasse des Hotels Ramses Hilton am Ostufer des Nils, gleich hinter dem Ägyptischen Museum. Sie blickten über den Nil, den Kairo Tower und das Opernhaus. Angestrengt starrte Hasan al-Basri hinunter zur Qasr el-Nil. Dort, in dieser Straße, überlegte der Sufi, hatte die ganze Geschichte vor vielen Jahren begonnen. Es hatte viele Anstrengungen und der Hilfe einflussreicher Freunde in der ägyptischen Regierung bedurft, dem Ex-Mönch Charles Bahri seinen Buchladen L’Orientaliste mit all den kostbaren Büchern, Bildern und Karten wegzunehmen, ihn zu enteignen. Eines der vielen Bücher stammte aus dem 15. oder 16. Jahrhundert und war in Portugiesisch geschrieben worden. Bei der Inventur zur Übernahme der Bibliothek war es aufgefallen. Der Autor war zwar anonym, das Buch in einem extrem schlechten Zustand, aber die darin aufgestellten Behauptungen waren sensationell. Und plötzlich war es bei der Auflösung von Bahris Sammlung auf mysteriöse Weise verschwunden. Die Karte in diesem Buch war ein Vermögen wert. Aber was immer er und Abdul sich in den letzten Monaten auch hatten einfallen lassen, um an dieses Buch und an diese Karte zu gelangen, Charles Bahri war ihnen stets einen Schritt voraus gewesen. Langsam hatte Hasan al-Basri das Gefühl, als wären übernatürliche Kräfte im Spiel. In den letzten Wochen war alles schiefgelaufen, sogar die Sache in Lissabon.
Hasan al-Basri nahm seine Brille
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