Die verschollene Karawane
ab, wischte sie mit einem Zipfel seines weiten Gewands ab und schaute seinen Glaubensbruder an: »Abdul, die Dinge laufen aus dem Ruder. Erst dieser Misserfolg am Roten Meer, dann in Venedig. Und jetzt eine Kette von Fehlschlägen in Lissabon. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Wir haben unsere besten Leute angesetzt. Vielleicht ist es der tödliche Fluch der Aron ha’brit oder, wie die Juden sie nennen, der Aron ha’kodesch, der uns nicht zum Ziel kommen lässt.«
Abdul Qadir Dschila strich nachdenklich über seinen weißen Vollbart. »Jetzt fängst du auch schon an, diesem mystischen Gefasel der Christen und Juden Glauben zu schenken!«
»Du solltest das nicht so abtun, Abdul. Hüte deine Zunge! Auch wenn nur ein Funken von dem wahr ist, was in der Bibel und in den Apokryphen geschrieben steht, dann geht göttliche Macht von diesem Ding aus. Als König David den Kasten nach Jerusalem holen wollte, brachen die Rinder aus, die den Wagen mit dem Schrein zogen. Usa, der Lenker des Wagens, der ihn anfasste, wurde von der Hand des Herrn getötet. Und als Nadab und Abihu, die Neffen von Moses, heimlich dem Schrein ein Opfer darbringen wollten, überlebten sie das nicht. Im Buch Levitikus wird beschrieben, dass von dem Schrein Feuer ausging und die beiden Männer an Ort und Stelle tötete. Auch die Philister, die den heiligen Schrein einst eroberten, wurden von der Macht des göttlichen Throns gestraft. Ihr Volk wurde von der Pest heimgesucht. Du solltest solchen wundersamen Ereignissen also mehr Glauben schenken, auch wenn sie von Mündern der Christen und Juden erzählt werden. Und bedenke eins, auch das Buch der Bücher, der Heilige Koran, sagt, dass sie göttliche Gegenwart und Sein Einwirken bewirkt und garantiert – besonders im Kriegsfall. Wie heißt es doch in der Sure 2:248: ›Das Zeichen seiner Königschaft sei, dass unter ihm die Lade wieder zu euch kommt, getragen von den Engeln, ausgestattet mit Sakina und Baqija von Eurem Herren, Hinterlassenschaft der Sippe Moses’ und Aarons.‹ Du tust also besser daran, deinen Lippen mehr Weisheit und Ehrfurcht angedeihen zu lassen, wenn du sprichst.«
Abdul Qadir Dschila wiegte sein Haupt nachdenklich. Die ermahnenden Worte seines Ordensbruders verfehlten ihre Wirkung nicht. »Du hast Recht! Um ehrlich zu sein, auch ich hatte schon das Gefühl, dass hier geheimnisvolle Mächte am Werk sind. Ich hoffe nicht, dass die Söhne der Zerstörung, dass Yajuj und Majuj oder Gog und Magog, wie sie bei den Christen heißen, ihr unheilvolles Tun und damit das Ende der Menschheit ankündigen. Denn im Koran heißt es in der Sure 18, dass Yajuj und Majuj die Mauer, hinter der sie verbannt wurden, vor dem Jüngsten Tag durchbrechen werden, um gegen den Mahdi zu kämpfen. Wehe uns, wenn dieser Tag sich ankündigt! Das wäre eine Erklärung, warum derzeit alles schiefgeht! Gegen die Söhne der Zerstörung sind wir machtlos. Aber mal abgesehen davon, dass wir und die Gelehrten unseres Ordens ohnehin zu dem Schluss gekommen sind, dass der heilige Schrein vermutlich gar nicht mit dieser Karawane transportiert wurde und wir das diesem Einfaltspinsel Sahib al Saif nur erzählt haben, damit er die wahren Gründe seines Auftrages nicht erfährt, sollten wir uns Gedanken machen, wie wir mit der veränderten Lage klarkommen. Wir müssen diese Karte haben. Unbedingt! Ohne Karte werden wir nie erfahren, wo die Karawane in der Wüste verschollen ist. Es konnte niemand ahnen, dass die Karte nicht in dem Sion -Dossier enthalten war. Obwohl, wenn wir ein wenig logischer gedacht hätten, wären wir schon früher auf die Idee gekommen, dass Charles Bahri dieses Buch und die Karte aus dem Dossier entwendet hat. Er war nachweislich in Lissabon gewesen und hatte Zugang zu dem Dossier. Ist schon ein starkes Stück! Ein Mönch klaut ein Buch aus einer Bibliothek!«
»An das Dossier kommen diese Jahzara und der deutsche Geograf jetzt allerdings auch nicht mehr ran. Zumindest das konnten wir über unsere Freunde im Kultusministerium in Lissabon sicherstellen. Die haben nichts in der Hand – außer dem Buch und der Karte.«
»Aber genau daran kommen wir nicht ran! Wie konnte das nur passieren, dass unser Mann in Lissabon sich von einem Hausmeister anschießen lässt? Zumindest war er ein Mann des Wortes und zeigte Ergebenheit, als er sich selbst richtete und den Tod eines Märtyrers starb, bevor die Polizei ihn erwischte. Unser Problem liegt jetzt ganz woanders. Die beiden haben die Wanzen entdeckt
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