Die verschollene Karawane
das viele Rubbeln und die Cremes war die Haut auf der Stirn auffällig hell geworden. Solange er sich am Tanasee im Schutz der Nacht bewegte, fiel nicht auf, dass es kein äthiopisches, sondern ein ägyptisch-koptisches Kreuz war. Bei Tageslicht würde es ohne Pflaster allerdings nicht gehen. Dann würde er noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und das war das Letzte, was er gebrauchen konnte, wenn die beiden hier auftauchten.
Verdammt! Diese Hure hatte die Dinge kompliziert. Was musste das dumme Ding auch in seinem Koffer herumstöbern? Wahrscheinlich hatte sie nicht nur die Bilder, sondern ebenso die Waffe gesehen. Das Risiko war ihm zu groß gewesen. Er hatte sie unmöglich am Leben lassen können. Eigentlich war es schade um die Kleine. Sie war sehr hübsch und jung gewesen. Aber eben nur eine Hure.
Abrupt richtete er sich auf. Die Klimaanlage trocknete seine Kehle aus. Doch er traute sich nicht, das Fenster zu öffnen. Er war sich sicher, dass es hier Moskitos gab. Vor Malaria hatte er panische Angst. Eigentlich gab es nur wenige Dinge, vor denen er Angst hatte: Schlangen, Malaria und – wie jeder Moslem – vor unreinen Hunden. Wenn die Dinge allerdings wie geplant liefen, würde er spätestens in drei, vier Tagen wieder im Flugzeug zurück nach Ägypten sitzen. Sicherlich würden die beiden diese Karte oder zumindest eine Kopie bei sich haben. Hoffentlich! Er stand unter enormem Erfolgsdruck. Diese ganze Sache gefiel ihm längst nicht mehr. Er hasste es, Aufträge durchzuführen, von denen er nichts Genaues wusste. Hinter diesem Auftrag, das war ihm längst klar geworden, steckte mit Sicherheit mehr, als Abdul Qadir Dschila und Hasan al-Basri ihm erzählt hatten. So untadelig der Ruf dieser beiden Derwische auch war und so verwerflich es war, die Ehrenhaftigkeit der beiden Sufis anzuzweifeln, so sehr war ihm doch in der letzten Zeit bewusst geworden, dass sie ihm nur einen Teil der Geschichte erzählt hatten.
Er erinnerte sich an ihr letztes Zusammentreffen in Kairo, in der Amr-Ibn-el-As-Moschee. Was sie ihm damals von diesem Ding, das die Juden Aron ha’brit nennen, erzählt hatten, mochte ja stimmen. Vielleicht traf es auch zu, dass dieses Ding eigentlich den Moslems gehörte und dass mit der Rückkehr eine neue Zeit beginnen würde. All das hatte er geglaubt. Aber dann hatte er Hasan al-Basri zwei Stunden später zufällig im Laden von Mohammed Agiza gesehen. Das hatte ihn sehr nachdenklich gestimmt. Er kannte Mohammed. Sehr gut sogar. Der Typ ging über Leichen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn irgendwo in Ägypten wertvolle Kunstschätze illegal verschoben wurden, dann hatte er mit Sicherheit seine Finger im Spiel. Dass ausgerechnet der ehrwürdige Sufi Hasan al-Basri den Kunsträuber Mohammed Agiza in seinem Geschäft besucht hatte, und das zwei Stunden nach ihrem Treffen in der Moschee, war sicherlich kein Zufall gewesen. Entsprechend hatte er sich bei Freunden kundig gemacht über Aron ha’brit. Erste Rückmeldungen hatte er schon bekommen. Alles klang sehr mystisch. Von einem Meer der Finsternis war da die Rede, von Gog und Magog und einem Schatz. Alles an diesem Auftrag war irgendwie mysteriös und verworren! Mit dieser schwarzen Frau hatte es in Venedig angefangen. Irgendwie hatte sie bemerkt, dass er ihr folgte. Dann tauchte noch dieser seltsame Europäer auf, der scheinbar versucht hatte, ihn zu fotografieren. Das beunruhigte ihn maßlos, seit er wusste, dass ebendieser Europäer mit der Äthiopierin in Lissabon gewesen war und nun mit ihr an den Tanasee kommen würde. Wie war das zu erklären? Im Zusammenhang mit den neusten Entwicklungen drängten sich ihm ohnehin viele Fragen auf. Die Sufis hatten genau gewusst, in welchem Zimmer der alte Mann in dem Kloster wohnte. Sie kannten die Pläne des Klosters. Gab es in dem Kloster der Franziskaner jemanden, der mit den Männern des Al-Sakina-Ordens unter einer Decke steckte? Möglich wäre auch, dass jemand in der Zentrale dieses Ordens mit den Derwischen zusammenarbeitete. Möglicherweise hatte sogar Mohammed, der kriminelle Kunsthändler, etwas damit zu tun. Reines Pech war allerdings gewesen, dass Charles Bahri die Gefahr gespürt hatte und quer durchs Kloster in die Kapelle geflohen war, um dann hinunterzuschlucken, was er ihm hätte abnehmen sollen. Wäre nicht diese Besuchergruppe gekommen, er hätte den Alten so lange mit der Kordel gewürgt, bis er das Papier wieder ausgespuckt hätte. So jedoch hatte er fliehen müssen – ohne
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