Die verschollene Karawane
sehr lange hier befunden – oder befand sich vielleicht noch immer hier: die Bundeslade!
Ach, was für eine aufregende Reise! Vielleicht würde ihn seine Recherche sogar noch ins ferne Mali und nach Mauretanien – ins Meer der Dunkelheit führen. Wenngleich er diesbezüglich sehr zwiespältige Gefühle hegte. Einige Dokumente im Sion -Dossier hatten ihn sehr nachdenklich gemacht. Offensichtlich hatte es damals enorme Spannungen zwischen dem Heiligen Vater und dem portugiesischen König gegeben. Auch das Verhältnis Roms zu den christlichen Mitbrüdern in Äthiopien war höchst diffizil gewesen. Da waren sehr unrühmliche Dinge geschehen.
Als Pater Benedikt gegen zehn Uhr abends nochmals auf den Balkon ging und den unglaublich klaren und scheinbar zum Greifen nahen Sternenhimmel über dem Tanasee bestaunte, fiel ihm unter einem Baum am Seeufer ein Mann auf. Wahrscheinlich ein Sicherheitsbeamter des Hotels, dachte er, zog die Vorhänge des Fensters zu, legte sich ins Bett und betrachtete im Licht der Nachttischlampe ein letztes Mal die eigentümliche Karte, die ihm Charles Bahri einst als Kopie gegeben hatte.
Tekle Hayman, Offizier des äthiopischen Geheimdienstes, war sich sicher. Er stand unter einem Baum und beobachtete die Seeseite des Hotels. Seit über die Zentrale in Addis Abeba die Nachricht gekommen war, dass nach Informationen europäischer Sicherheitsbehörden der konkrete Verdacht bestehe, dass islamistische Gewalttäter nach Äthiopien eingereist waren und es zu Anschlägen in Bahir Dar kommen könne, herrschte höchste Alarmstufe. Besonders viel hatte er von seinem Vorgesetzten zwar nicht erfahren. Wenn es um brisante politische Hintergründe ging, galt in Äthiopien stets die Maxime, dass man das Fußvolk an der Front, Beamte wie ihn, nur mit den notwendigsten Informationen versorgte. Erste Ermittlungen in Addis Abeba hatten jedoch bestätigt, dass ein als christlicher Priester getarnter Mann in Bahir Dar gelandet war und das Zimmer 212 im zweiten Stock bezogen hatte. Das konnte nur der Araber sein, vor dem die europäischen Kollegen gewarnt hatten und um dessen Observierung gebeten worden war. Ein Mörder, ein extrem gefährlicher islamistischer Terrorist sei dieser angebliche Priester, so hatte sein Chef gesagt und alle sieben Beamten der Geheimdienstniederlassung von Bahir Dar beauftragt, das Hotel und den Terroristen zu beobachten. Zwei Antiterrorspezialeinheiten aus der Hauptstadt würden bald als Verstärkung eintreffen.
Tekle Hayman war aufgeregt. Islamistische Terroristen in Bahir Dar! Mit derart gefährlichen Leuten hatte er es hier noch nie zu tun gehabt. Er wusste, dass moslemische Bruderschaften in Somalia schon seit geraumer Zeit von dem Gedanken beseelt waren, sich das mehrheitlich christliche Äthiopien einzuverleiben und in einen islamischen Gottesstaat am Horn von Afrika zu verwandeln. Aber was wollten diese Leute in Bahir Dar?
Sein Blick richtete sich auf den Balkon, auf dem sich der Terrorist eben noch befunden hatte. In der Dunkelheit hatte er ihn nicht richtig erkennen können. Gefährlich sah der Mann nicht wirklich aus. Und wie ein typischer Araber auch nicht. Aber es bestand kein Zweifel: Der da oben war ein Killer. Ein skrupelloser Terrorist. In Europa hatte er schon zwei Männer ermordet. Und hier hatte er ebenfalls einen Mord begangen. Ein Fischer, der nachts am Ufer des Tanasees seine Reusen aufgestellt hatte, hatte in der Dunkelheit gesehen, dass ein Mann in einem schwarzen Anzug einen Frauenkörper ins Wasser geworfen hatte. Die junge Frau war wenig später tot geborgen worden. Sie hatte einen Einschuss in der Schläfe. Ein aufgesetzter Schuss mit Schalldämpfer, abgegeben aus einer Kleinkaliberwaffe, vermutlich Kaliber .22 mit Highspeed-Munition.
Ein Mord in Bahir Dar. Das allein schon hatte die Polizei und die Geheimdienstler in Aufruhr versetzt. Warum er die Frau getötet hatte, war ein Rätsel. Fest stand nur, dass der Terrorist auf zwei oder gar mehrere Personen wartete. Das hatte seine Zentrale in Addis Abeba mitgeteilt. War der Killer allein hier? Vielleicht hatte er ja Mittäter. Hoffentlich kamen die Jungs von der Antiterroreinheit aus Addis bald. Das waren Profis – Sprengstoffexperten und Scharfschützen. Die würden den Killer unschädlich machen.
Aufgewühlt von diesen Gedanken, lugte er hinter dem Baum hervor und hinauf zum Fenster des Terroristen. Soeben war das Licht ausgeschaltet worden. Es war kurz vor Mitternacht. Tekle Hayman kramte sein
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