Die verschollene Karawane
dieses Papier, von dem er mittlerweile wusste, dass es eine Karte gewesen war, hinter der die Derwische des Al-Sakina-Ordens her waren. Mohammed, der Kunsthändler, wahrscheinlich auch. Dennoch bestand eine Chance, diese Karte aufzuspüren. Die Äthiopierin würde hierherkommen – zusammen mit diesem Deutschen. Woher Hasan al-Basri das wusste, entzog sich auch seiner Kenntnis. Die Sufis wussten sogar, welche Klöster sie besuchen würden, in welchem Hotel sie wohnten und dass sie einen Geländewagen reserviert hatten. Das war seine Chance. Bald würde er erfahren, was es mit dieser Karte und der Karawane auf sich hatte. Von diesen beiden greisen Derwischen, das stand für ihn fest, würde er sich jedenfalls nicht aufs Kreuz legen lassen. Hier ging es nicht nur um dieses mysteriöse Ding, das für die Juden und Moslems angeblich so bedeutend war. Hier ging es um Geld. Um sehr viel Geld.
Pater Benedikt war schockiert. Armut im Garten Eden! Das hatte er nicht erwartet. Schon gestern, auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel in Addis Abeba, waren ihm die Heerscharen von Bettlern und Krüppeln entlang der Straßen aufgefallen. Elend und Armut zu relativieren, empfand er zwar als zynisch. Aber wenn er sich die Verhältnisse in den Armenvierteln Palästinas und denen von Jerusalem vor Augen hielt, dann lebten die Menschen dort geradezu im Überfluss im Vergleich zu jenen bemitleidenswerten Hungerleidern, die das Stadtbild im Schatten der Beton- und Glaspaläste von Addis Abeba prägten. Bei dem kurzen Spaziergang vom Hotel DeLeopold aus hatte er sich gestern höchst unwohl gefühlt. Da hatten sehr suspekte Gestalten herumgelungert. Vor dem Hotel wachten nicht ohne Grund vier bewaffnete Sicherheitsbeamte. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er Angst gehabt, sich im Dunkeln durch eine fremde Stadt zu bewegen. Zu absurd war der Gedanke, dass er in seiner Ordenskleidung Opfer von Räubern werden könnte. Gestern Abend hatte er allerdings dieses bedrohliche Gefühl sehr wohl gehabt. Wo grenzenlose Armut herrscht, er wusste das, zählte ein Menschenleben nicht viel.
Es machte ihn traurig, dass er auch hier am Tanasee, weit entfernt von der Hauptstadt, mit dieser Armut konfrontiert wurde. Dabei war es so ein wunderschöner Flug gewesen. Das Land hatte ihn maßlos fasziniert. Die grandiose Bergwelt mit den Viertausendern hatte ihn an die Schweiz erinnert. Überall waren Seen und Flüsse zu sehen gewesen, und die Ebenen zwischen den majestätischen Bergketten schienen sehr fruchtbar zu sein. Dieser Eindruck hatte sich beim Landeanflug auf Bahir Dar und auf der Fahrt zum Hotel noch verstärkt. Wasser gab es zu Genüge. Palmen, üppige Bananenstauden, prachtvolle Blumenbeete und blühende Ziersträucher säumten die Hauptstraßen. Auch in seinem Hotel am Seeufer hatte er zunächst das Gefühl gehabt, im Garten Eden Afrikas zu sein. Doch der erste Eindruck war schnell in maßlose Enttäuschung umgeschlagen. Bettler, Krüppel und ausgemergelte Menschen waren allgegenwärtig. Wie konnte es sein, dass in einem so fruchtbaren Land derart viele Menschen hungerten?
Die vielen Eindrücke erschöpften ihn. Gestern noch war er am frühen Morgen von Jerusalem aus aufgebrochen, hatte in Kairo viele Stunden auf den Anschlussflug nach Addis Abeba warten müssen und war erst in der Nacht im Hotel angekommen. Nach knapp fünf Stunden Schlaf hatte er schon wieder zum Flughafen gemusst. In den wenigen Stunden seit seiner Ankunft in Bahir Dar war er ein wenig herumgelaufen und hatte sich in der Stadt umgesehen. Es war ein sehr quirliges, modernes Handelszentrum. Die Menschen schienen zufrieden. Auf einem Markt etwas außerhalb des Zentrums wurde er dann aber erneut mit dem Elend dieses Landes konfrontiert. Und dort hatte er auch diesen seltsamen Mann in dem Priestergewand gesehen. Obwohl ihn nur noch wenige Schritte von dem vermeintlichen Bruder getrennt hatten, hatte ihn plötzlich ein unbestimmtes Gefühl veranlasst, den Priester nicht anzusprechen. Der Mann hatte sich sehr ungewöhnlich verhalten. Sein Blick war stier nach vorne gerichtet gewesen. Obwohl ihn einige Menschen angelächelt und gegrüßt hatten, hatte er eher rüde und abweisend reagiert. Schließlich hatte er einem sehr jungen Mädchen mit entblößtem Oberkörper lüstern und ungehörig auf die Brüste gestarrt. Dann hatte der Fremde sich abrupt umgedreht und ihn direkt angeschaut. Der Hass in den Augen dieses Mannes hatte ihn erschauern lassen. Es war der Blick eines Menschen,
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