Die verschollene Karawane
Grenzenlose Zufriedenheit lag über ihrem Antlitz. Verschämt huschte sein Blick über ihr Dekolletee hin zu dem kleinen goldenen Kreuz, das sie stets um den Hals trug. Für sie war dieses Kreuz mehr als nur Schmuck. Ihr Glaube kam so tief aus ihrer Seele, dass ihn das irritierte. Noch nie in seinem Leben hatte er einen Menschen getroffen, dessen Gottgläubigkeit so unerschütterlich zu sein schien. Unlängst hatte er sie gefragt, woher ihre tiefe Gläubigkeit rührte. »Gott hat uns keine Worte gegeben, um über Ihn zu sprechen«, hatte sie in ihrer afrikanischen, fast stoischen Art geantwortet und hinzugefügt: »Glaube lässt sich weder vermitteln noch erklären. Du glaubst. Oder eben nicht. Wie hat Antoine de Saint-Exupéry geschrieben? ›Worte sind die Quelle aller Missverständnisse.‹ Dem ist wohl so.« So war Jahzara! Sie brachte mit einem einzigen, schnörkellosen Satz komplexe Themen auf den Punkt. Was sie sagte, wirkte unantastbar, absolut.
Jahzara öffnete nun ihre Augen, schaute ihn verschlafen an und räkelte sich wie ein unschuldiges Baby in der Wiege.
Angst machte sich plötzlich bei ihm breit. Wie würde Jahzara damit klarkommen, dass er – zumindest nach Einschätzung deutscher Ermittler – Unterstützer einer terroristischen Vereinigung gewesen war? Wie würde sie seine damalige Reise nach Äthiopien, nach Eritrea beurteilen? Für das deutsche Bundeskriminalamt war es damals eine klare Sache gewesen: Er war in Begleitung von baskischen Linksextremisten über den Sudan illegal nach Eritrea eingereist und hatte sich dort fast zwei Monate lang in militärischen Ausbildungscamps einer marxistischen eritreischen Befreiungsbewegung aufgehalten. Keiner hatte ihm geglaubt, dass er für den ID nur dorthin geflogen war, um über den widersinnigen Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea zu schreiben. Auch die Richter hatten ihm nicht abgenommen, dass er sich in einem Redaktionsplenum für diese Veröffentlichung eines Bekennerschreibens vom RAF-Terroristen Christian Klar eingesetzt hatte, weil er von seinen Eltern liberal erzogen worden war und der freien Meinungsäußerung stets einen hohen Stellenwert einräumte, und nicht, weil er sich mit den Zielen und Mitteln der RAF identifizierte. Also wurde er wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einem halben Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Dieses Urteil hatte seine Zukunftspläne zunichtegemacht. Sein Traum von einem Job beim Auswärtigen Amt war geplatzt.
Peter runzelte die Stirn. Diese Vergangenheit würde ihn nun einholen. Er wusste, welche Einstellung Jahzara zu Eritrea hatte. Für sie war es eine abtrünnige Provinz Äthiopiens. Ihr Vater würde wahrscheinlich auch die in Äthiopien gängige Einschätzung teilen, dass alle Freiheitskämpfer Eritreas Terroristen sind und Eritrea keinerlei Ansprüche hat, als unabhängiger Staat anerkannt zu werden. Das sah er allerdings anders. Der Konflikt war damit vorprogrammiert.
Der futuristisch anmutende Flughafen von Addis Abeba erstrahlte im Licht tausender Scheinwerfer. Alles roch nach einem neuen, modernen, kosmopolitischen Afrika. Aber nur wenige Fahrminuten vom Flughafen entfernt lauerte die bedrückende Realität.
Jahzaras Vater hatte ihnen einen Wagen mit Chauffeur zum Flughafen geschickt. Der kleine Fahrer trug eine Uniform mit goldenen Bordüren und fuhr grauenhaft langsam. Das verleitete die Heerscharen der Krüppel, Entstellten, Obdachlosen und Bettler, den Wagen bei jedem Halt zu umzingeln. Verstümmelte Finger von Leprakranken pressten sich gegen die Autoscheiben. Einbeinige auf Holzkrücken begannen, mit Staubwedeln die Windschutzscheibe des Luxuswagens zu putzen. Peter fühlte sich sehr unwohl.
Jahzara sah das Entsetzen in seinen Augen. »Der Krieg! Wir haben zu lange Krieg gehabt in unserem Land. Fast dreißig Jahre. Und dann auch noch die verheerenden Dürrkatastrophen in den letzten Jahren.«
Peter starrte durch die Windschutzscheibe. Er versuchte, das Elend entlang der Straßen und ihre Worte zu ignorieren. Es gelang ihm nicht. »Eure Kriege hier in Äthiopien sind mit die absurdesten Afrikas überhaupt!«
Jahzara erstarrte. Ihre Reaktion kam schnell, ohne jeglichen Sanftmut. »Lieber Peter, die meisten Kriege Afrikas in den zurückliegenden fünfzig Jahren sind Spätfolgen der imperialistischen Kolonialpolitik europäischer Staaten. Der weiße Mann hat Afrika ins Chaos gestürzt!«
Peter ärgerte sich. Warum hatte er seinen Mund nicht gehalten? Nun
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