Die verschollene Karawane
Sie lauschten in wundersamem emotionalem Gleichklang dem Kläffen der Wüstenfüchse, tranken sehr viel Whisky, lachten wie alberne Kinder über zwei Skorpione, die in aberwitzigem Tempo gut ein dutzend Mal liebestoll ums Feuer herumrasten, und schliefen um Mitternacht sturzbetrunken, aber unfassbar glücklich ein. Seitdem waren sie nicht mehr Vater und Sohn, sondern die besten Freunde. Und seit dieser Tour trug er den Bacillus Africanus in sich. Diese erste Tour nach Nordafrika war der Beginn einer Passion gewesen, die er schließlich auch zu seinem Beruf gemacht hatte: das Reisen.
Sein Studium hatte ihm die Möglichkeit dazu gegeben. Da Geografie »ein Orchideenstudium« ist, wie sein Vater es so treffend ausdrückte, hatte er sich an der Universität in Frankfurt noch für Politologie eingetragen. Schnell hatte er erkannt, dass Fremdsprachen in Einheit mit diesen beiden Studiengängen der goldene Schlüssel zu einer von ihm angestrengten internationalen beruflichen Tätigkeit sein könnte. Zunächst hatte er Spanisch gelernt. Arabisch hatte er später hinzunehmen wollen. Mit Englisch, Französisch, Spanisch und Arabisch, so war sein Kalkül gewesen, würde sein Doppelstudium eine gute Ausgangsbasis sein, um später in den diplomatischen Dienst beim Auswärtigen Amt zu gelangen. Für internationale Themen hatte er sich schon in der Schule interessiert. An der Uni Frankfurt hatte er diese Affinität ausleben können. Bald schon war er mit Leuten in Kontakt gekommen, die seine linksliberalen Vorstellungen teilten. Mario, ein Studienkollege, hatte ihn dann im zweiten Semester gefragt, ob er nicht Interesse habe, bei einem Zeitungsprojekt mitzumachen. Die linke Szene Frankfurts war damals von radikalen Sponti-Thesen geprägt.
Peter ertappte sich dabei, wie er süffisant vor sich hin lächelte. Es war eine verrückte Zeit gewesen, damals in Frankfurt. Seine ehrenamtliche Tätigkeit bei dem linken Blatt Informationsdienst für unterbliebene Nachrichten, kurz ID genannt, brachte ihn mit politisch engagierten, aber auch mit radikalen Leuten zusammen. Nachrichten über staatliche Repression, den Gefängnisalltag linker Genossen, die Anti-Atomkraftszene und die Internationalen Linken gehörten zum Selbstverständnis des ID, dessen Redaktionsräume in der Hamburger Allee direkt neben denen des Pflasterstrands lagen. Es war eine hektische, aber auch interessante Zeit gewesen. Er hatte Adorno, Habermas, Hegel, Kant, Fichte und natürlich auch Mao gelesen. Er hatte sich auf Afrika spezialisiert. Gut zwei dutzend Mal war er für den ID auf den schwarzen Kontinent gereist, um über Kolonialismus, Unterdrückung und Ausbeutung in Afrika zu schreiben. Bald würden sie in Khartum zwischenlanden. Zwei Mal war er schon dort gewesen. Was damals, vor zwanzig Jahren, geschehen war, begann erneut Einfluss auf sein Leben zu nehmen und beschäftigte ihn sehr.
Peter schaute zu Jahzara. Sie saß neben ihm und schlief. Er musste es ihr sagen! Aber er hatte Angst vor ihrer zu erwartenden Reaktion. In dem Thema lag viel Konfliktpotenzial. Jahzara liebte ihr Land. Sie war eine sehr bodenständige, pragmatische und mit Sicherheit alles andere als politisch links orientierte Frau. Sie hatte sehr traditionelle, konservative afrikanische Werte und Normen. Für ihn war es manchmal sehr schwierig, ihre Einstellungen zu tolerieren, ihr Gedanken nachzuvollziehen, die wirkliche Dimension dessen, was sie sagte, dachte und fühlte, zu verstehen. Jahzara war ganz einfach anders. In vielerlei Hinsicht.
Sie war weder prüde noch verklemmt, konnte ungemein kokett sein, lockte, verführte mit den Augen und signalisierte mit ihrem Körper, was tief verborgen in ihr vorging. Manchmal konnte er sehen, wie ihre Oberlippe ganz leicht, kaum sichtbar und ungemein erotisierend zitterte, wenn sie ihn anschaute. Ihre unverwechselbar geschmeidige, manchmal laszive Art zu gehen – selbstbewusst, aufrecht, mit schwingenden Hüften – konnte ihn rasend machen vor Verlangen. Doch er hatte sie durchschaut. Sie lockte mit der rechten Hand, zeigte ihm aber gleichzeitig mit der linken Grenzen auf. Außerdem hatten sie eine Vereinbarung getroffen: Er musste, durfte Gentleman und Freund sein. Mehr nicht.
Peter atmete tief durch. Eine Stewardess mit grausam krächzender Stimme avisierte über Bordlautsprecher die Landung in Addis Abeba. Blitze zerfurchten im Nordosten den Nachthimmel und ließen ihn erahnen, dass die Regenzeit noch nicht zu Ende war. Jahzara schlief noch immer.
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