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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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war der Konflikt schneller da als geahnt. »Jahzara«, versuchte er die Stimmung zu retten, »du solltest wissen, dass ich eher die Positionen der Afrikaner teile, als dass ich die Kolonialisierung Afrikas durch die Europäer rechtfertigen würde. Ich weigere mich schlichtweg, Unrecht zu relativieren. Aber ich sträube mich auch, aus historisch auferlegten Schuldkomplexen heraus zu schweigen.«
    »Was heißt hier relativieren, Peter? Fakt ist doch, dass die Kolonialmächte Afrika willkürlich unter sich aufgeteilt hatten. Das fing schon mit den Portugiesen, mit Heinrich dem Seefahrer an! Wenn Afrika sich dagegen auflehnte, war Völkermord die Antwort. Die damaligen Kolonialgrenzen sind die Ursache der meisten Kriege und Grenzstreitigkeiten im Afrika der Neuzeit. That’s it!«
    Peter versuchte, die Provokation zu ignorieren. »Jahzara, hier in Addis Abeba wurde vor fast fünfzig Jahren die Organisation für Afrikanische Einheit gegründet. Damals wurde beschlossen, die von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen als normative Kraft des Faktischen zu akzeptieren.«
    »Und was, bitte, hat das mit dem zu tun, was ich eben gesagt habe?«, unterbrach Jahzara ihn. Sie schien sehr aufgebracht. Peter versuchte, sachlich zu bleiben. »Jahzara, seit Bestehen der OAU hat es in Afrika so viele Grenzkonflikte wie nie zuvor gegeben. Abgesehen von der Tatsache, dass dieser Kontinent vor dem Eintreffen der Weißen keineswegs ein Paradies auf Erden war, in dem es keine Kriege gab, so wie das heute gerne dargestellt wird, ist die OAU eine Organisation von Schwätzern, mehr nicht. Niemand hält sich an die einst so hochgesteckten Ziele. Und besonders absurd ist der Konflikt zwischen deiner Heimat Äthiopien und Eritrea. Viele Menschen sind deshalb gestorben. Euer Rüstungsetat ist aberwitzig hoch – während überall im Land Menschen hungern! Schau dich mal um! Schau mal aus dieser Luxuslimousine raus auf die Straße! Da ist die traurige Realität angesiedelt! Ich liebe Afrika, und das weißt du. Doch auf diesem Kontinent sind zu viele Knarren in den Händen von Idioten! Das macht mich traurig und wütend. Aber bitte, lass uns später darüber reden. Ich denke, wir haben hier andere Dinge vor. Über Politik streiten wir nur.«
    Er wusste, dass er mit den letzten beiden versöhnlichen Sätzen nicht viel Erfolg haben würde. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er Jahzara von damals erzählen musste.
    Das Hotel DeLeopold lag unmittelbar an der Schnellstraße zwischen Flughafen und Innenstadt. Der Fahrer setzte ihn dort ab. Jahzara stieg gemeinsam mit ihm aus, schwieg aber, als sie sich mit einem oberflächlichen Wangenkuss verabschiedeten. Sie selbst würde bei einer Verwandten in einem Vorort von Addis Abeba nächtigen. Morgen würden sie gemeinsam zurück zum Flughafen fahren, um nach Bahir Dar an den Tanasee zu fliegen.
    Die beiden jungen Rezeptionistinnen lachten ihn herzlich an. Ihre strahlend weißen Zähne bildeten einen skurrilen Kontrast zu ihren schmuddeligen Uniformen. Sie wussten von keiner Zimmerreservierung für ihn. Mit zehn Dollar animierte er sie, sich zu erinnern. Ein unrühmliches Gefühl beschlich Peter. Das war das korrupte Afrika, das er hasste. In der im Zebralook dekorierten Bar im Erdgeschoss wollte er in Ruhe noch etwas trinken, konnte es jedoch nicht, weil außer ihm kein Gast da war, dafür aber zehn Huren. Keine von ihnen war unter sechzehn – vermutlich. Allerdings auch keine über achtzehn. Ganz sicher. Sie waren unverschämt aufdringlich und hauchten ihm im Duett »We love you« zu. Ein beklemmendes Gefühl überkam ihn. Die Tristesse dieses Hotels, dieser Millionenstadt erschütterte ihn. Frustriert schlich er in sein Zimmer. Das Bettlaken zeigte Spuren von den Diensten der Huren und ihrer Freier. Der Warmwasserboiler im Bad schien aus einer russischen Kolchose zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu stammen. Teppichboden und Möbel ebenfalls. Er fühlte sich müde. Ein letztes Mal schaute er aus dem Fenster. Unten am Schlagbaum strahlten dutzende Scheinwerfer gen Himmel. Ein Mann stand im Schatten eines Frangipani-Baumes und unterhielt sich mit einem der Wachmänner.
    »Jetzt fängst du aber an zu spinnen«, murmelte Peter vor sich hin und lachte halbherzig. Für einen Moment lang hatte er geglaubt, der Mann dort unten vor dem Hotel habe Ähnlichkeit mit dem Araber. Doch das konnte kaum sein. Nicht hier in Addis Abeba, so weit weg von Venedig.
    Als er nach einer unruhigen Nacht gegen sechs Uhr morgens

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