Die Verschollenen
Schlägen. Sie erinnerte sich an den Gestank und an die Geräusche. Sie erinnerte sich an Ryan, der schrie und dem das halbe Gesicht fehlte, wie er sich wand, als eines der Biester sich auf seine Brust setzte und ihm mit schwarzen Krallen den Bauch aufriss. Dann hatte es mit seinen langfingrigen, haarigen Händen in seiner Bauchhöhle herumgewühlt, die Innereien aus der klaffenden Wunde gezogen und sie mit sichtlichem Genuss gefressen, während der arme Ryan geräuschlos um sich schlug. Er lag in seinem Blut und hatte die Augen so weit verdreht, dass nur das Weiße zu sehen war, und seine Schreie wurden durch das Loch in seinem Gesicht zu einem unhörbaren Zischen. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war der Anblick von Roberta, die weglief, bis die Nacht und der Regen sie verschluckten, verfolgt von einigen heulenden, pfeifenden Kreaturen. In diesem Moment hatte eines der Wesen Shonette zu Boden geworfen und war auf ihr herumgetrampelt. Sie erinnerte sich, wie sie von seinem Gewicht niedergedrückt wurde.
Dann war alles schwarz geworden, und sie war wieder zu Hause gewesen, bei ihren Kindern.
Jetzt war sie nicht mehr dort.
Shonettes Kopf schlug gegen einen Stein. Ihr wurde bewusst, wie dicht er über dem Boden schwebte, und da fiel ihr wieder ein, wie klein diese Kreaturen waren. Ihr Haar war voller Schlamm, Zweige und Blätter. Anscheinend war es über den Boden geschleift, als sie bewusstlos gewesen war. Sie versuchte, sich umzudrehen. Dazu zappelte sie stärker, woraufhin sich sofort wieder die Krallen in ihre Haut gruben. Zähneknirschend bewegte Shonette den Kopf vor und zurück. Ihre Haare schlugen mit einem nassen Klatschen auf den Boden. Mit den Fäusten bearbeitete sie den pelzigen Rücken ihres Entführers.
»Lass mich los, du Drecksack!«
Die Kreatur blieb stehen und grunzte, als sie die Schläge bemerkte.
»Ganz richtig. Das gefällt dir nicht. Lass mich los, du Arschloch!«
Das Wesen verlagerte seinen Griff, und Shonette spürte, wie es beide Hände um ihre Fußgelenke legte und zudrückte. Sie schrie wieder, diesmal so laut, dass sie spürte, wie etwas in ihrem Hals riss. Aus ihrem Schrei wurde ein schwaches, heiseres Keuchen.
Sie konnte es kaum fassen, aber das Untier lachte.
Panisch versuchte sie, sich loszureißen, aber das Monster warf sie wieder über die Schulter, indem es sie in einem weiten Bogen schleuderte und dabei an den Füßen festhielt. Ihre Haare flatterten, und sie
schlug hilflos mit den Händen um sich. Shonettes Keuchen brach ab, als sie mit dem Kopf gegen einen massiven, knorrigen Baumstamm knallte.
Die verkehrte Welt wurde erneut schwarz.
Shonette kehrte in ihren Traum zurück, doch diesmal war sie allein.
In ihren Träumen konnte sie immer noch schreien.
VIERZEHN
M urmelnd und fluchend stapfte Stuart den Pfad entlang. Seine Füße versanken mit schmatzenden Geräuschen im Schlamm, und bei jedem Schritt lief kaltes Wasser in seine Schuhe. Der Wind peitschte nach ihm, schob ihn immer wieder zurück und behinderte sein Fortkommen. Ständig musste er sich Regentropfen aus den Augen blinzeln und sein nasses Haar aus dem Gesicht streichen, aber wirklich helfen tat es nicht. Außer während der kurzen Blitzschläge konnte man praktisch nichts sehen, und er ging sehr vorsichtig, da ihm deutlich bewusst war, was ihm alles passieren konnte, wenn er den Pfad verließ. So gefährlich - und dumm (das gestand er sich inzwischen ein) - diese Rettungsmission auch war, sich im Dschungel zu verlaufen wäre wesentlich schlimmer.
»Nicht meine beste Idee. Was zur Hölle habe ich mir nur dabei gedacht?«
Der Donner verspottete ihn - ein tiefes, dröhnendes Lachen, das über die Insel hallte und den Boden beben ließ. Stuart blieb stehen und zeigte dem Himmel den Stinkefinger.
»Verpiss dich, Ivan.«
Er trottete weiter. Hin und wieder legte er die Hände trichterförmig um den Mund und rief nach Mark, Jesse und den fehlenden Kandidaten, aber er hatte wenig Hoffnung, dass sie ihn tatsächlich hören konnten. Er wünschte sich, eine Taschenlampe oder ein Megafon oder wenigstens eine Leuchtpistole zu haben - irgendwas, womit er anzeigen konnte, wo er sich befand. Aber er trug nichts bei sich außer dem Satellitentelefon. Alles andere war in seiner Kabine an Bord des Schiffes.
Das Schiff … Er schnaubte abfällig und schüttelte den Kopf. Warum war er hier draußen und wanderte durch einen verdammten Wirbelsturm, während dieser aufgeblasene Arsch Roland und alle anderen, die für
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