Die Verschollenen
die Show arbeiteten, sicher und gemütlich auf dem Schiff hockten? Er war schließlich kein Anfänger mehr, verdammt. Irgendjemand anders sollte jetzt hier draußen sein - ein Bühnentechniker, ein Sanitäter oder der verdammte Praktikant. Aber nicht er. Er sollte jetzt im trockenen warmen Schneideraum sitzen und unzählige Tassen heißen Kaffee trinken, während er viele, viele Stunden an Rohmaterial durchsah und etwas Brauchbares zusammenbastelte, etwas, das dafür sorgte, dass die Zuschauer dran- und die Quoten oben blieben. Das war sein Job. Nicht das hier. Das hier war Scheiße, und wenn dieser Sturm vorbei war, würde jemand deshalb auch einiges zu hören bekommen.
Er war allerdings froh, dass er nicht seine Kamera mitgenommen hatte. Die hatte er im Camp gelassen, und wenn es nach Stuart ging, konnte das verdammte Ding weggeschwemmt werden und im Meer versinken.
Er kochte immer noch vor sich hin, als er auf einen umgestürzten Baum stieß. Er war in der Mitte durchgebrochen, und die obere Hälfte lag quer über dem Pfad und blockierte ihn. Anstatt um ihn herumzugehen und sich durch das Unterholz zu kämpfen, kletterte Stuart über den Stamm. Als er sich auf der anderen Seite herunterließ, rutschte er ab, fiel und landete auf dem Hintern. Kaltes Wasser und Schlamm drangen in seine Kleidung und liefen ihm zwischen die Pobacken. Stuart stöhnte. Das war das unangenehmste Gefühl, das er je verspürt hatte.
»Scheiße.« Er packte den Baum und zog sich auf die Füße. Dann hüpfte er herum und hob abwechselnd seine Beine an, um den Matsch abzuschütteln. Er spürte, wie er in dicken Brocken seine Schenkel hinunterlief. Irgendwas Scharfkantiges - ein Steinchen, eine Muschel oder eine Nuss - klebte an seinem Steißbein.
Links von ihm krachte es - wahrscheinlich ein weiterer Baum.
»Hallo?«, rief er, wobei es ihm egal war, ob ihn jemand hören konnte. Es tat gut, einfach zu schreien, zu brüllen, einen Teil der angestauten Frustration
loszuwerden. »Ist da jemand? Mark? Jesse? Irgendjemand?«
Nur der Regen war zu hören, der gegen die Blätter schlug.
Stuart bemerkte, dass weiter vorne etwas auf dem Pfad lag. Es war zu klein und unförmig, um ein Baumstamm zu sein. Als der Himmel wieder aufleuchtete, sah er einen kurzen Moment lang helle Haut schimmern.
»Oh, nein.«
Zitternd lief er zu der reglosen Gestalt und ging neben ihr in die Knie. Ohne etwas sehen zu können, zerrte er das Satellitentelefon aus der Tasche und klappte es auf. Der schwache grüne Schein des Displays lieferte nur wenig Licht, doch es reichte aus, um erkennen zu können, wessen Körper das war. Der Kleidung und den Haaren nach war es Roberta. Sie lag auf dem Bauch, und ihr Gesicht war tief im Matsch vergraben. Aus einer Wunde an der Körperseite trat Blut aus, das bereits den Boden unter ihr getränkt hatte. Sie rührte sich nicht.
»Roberta? Oh, Scheiße. Hey, Roberta!«
Er berührte ihre Wange. Sie war kalt.
»Roberta?«
Sie antwortete nicht, aber das hatte er auch nicht wirklich erwartet. Gehofft, ja, aber die Position ihres Körpers hatte ihn schnell eines Besseren belehrt.
Vorsichtig rollte Stuart sie auf den Rücken und fand seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Roberta atmete nicht, und Mund und Nase waren voller Schlamm. Er tropfte aus ihr heraus, als Stuart sie niederlegte. Kurz überlegte er, ob er den Schlamm abwischen und es mit Mund-zu-Mund-Beatmung versuchen sollte, doch es hatte keinen Sinn. Ihre Augen starrten blicklos ins Leere, und als er an ihrem Handgelenk nach einem Puls suchte, fand er keinen. Ihre Gliedmaßen waren schlaff, nicht steif - und immer noch beweglich. Das bedeutete, dass sie noch nicht lange tot sein konnte. Er versuchte, sich daran zu erinnern, wie lange es dauerte, bis die Totenstarre einsetzte, doch dann wurde ihm klar, dass er keine Ahnung hatte. Das bisschen, was er über solche Dinge wusste, stammte wie bei den meisten Amerikanern aus Krimiserien.
Er untersuchte die Leiche genauer. Offensichtlich war sie erstochen worden. Der Griff eines Taschenmessers ragte unterhalb der Brust aus ihrem Körper. Bauch und Kehle waren blutverschmiert. Es sah nass und frisch aus. Stuart versuchte herauszufinden, ob das vom Regen kam oder daran lag, dass das Blut immer noch floss. Ihr Körper schwankte leicht, als der Schlamm unter ihr in Bewegung geriet, und erst da bemerkte er den Schnitt an ihrer Kehle. Durch die Schatten und das ganze Blut, mit dem sie bedeckt war, hatte er ihn zunächst nicht
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