Die Verschwörer von Kalare
über die Stadt gezogen waren. Unaufhörlich wallten sie hin und her, dumpfer Donner grollte, und rote Blitze zuckten. Der Regen jedoch, der sich mit ihnen hätte einstellen sollen, blieb aus. Aufgrund der Wolkendecke war die Welt in einen endlosen Dämmerzustand gesunken, der es unmöglich machte, den Gang der Zeit zu messen.
Immerhin war es Isana gelungen, die Elementarheilung fortzusetzen, die für Faede die einzige Hoffnung darstellte. Ohne Veradis, die ihr hin und wieder Gelegenheit gegeben hatte, ein oder zwei Stunden zu schlafen, wäre Faedes Schicksal längst besiegelt gewesen.
»Wie geht es ihm?«, fragte Isana. Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder, von dem Veradis gerade aufgestanden war.
Wieder einmal band die junge Heilerin Isanas Hand mit einer weichen Kordel an Faedes. »Der Brand hat ein wenig nachgelassen«, erklärte Veradis leise. »Aber er ist schon zu lange in der Wanne und hat zu wenig Nahrung bei sich behalten. Die Haut wird an einigen Stellen wund, und das …« Sie schüttelte den Kopf, holte tief Luft und setzte neu an. »Du weißt, was dann passiert.«
Isana nickte. »Andere Krankheiten können sich einnisten.«
»Er wird schwächer, Wehrhöferin«, sagte Veradis. »Wenn er sich nicht bald erholt …«
Sie wurden unterbrochen, als jemand die Tür aufstieß. »Fürstin Veradis «, drängte ein bewaffneter Legionare . »Beeil dich. Er stirbt.«
Veradis verzog das Gesicht. Aus ihren dunkelgeränderten Augen sprach Erschöpfung. Leise sagte sie zu Isana: »Ich weiß nicht, ob ich noch einmal vorbeischauen kann.«
Abermals nickte Isana. Veradis verließ mit raschen und gleichzeitig sicheren Schritten das Zimmer. »Beschreib mir die Wunde«, verlangte sie. Der Legionare schilderte einen Schlag mit einer schweren Keule, und seine Stimme verhallte nach und nach im Gang.
Giraldi schaute ihnen hinterher. »Wehrhöferin? Du solltest etwas essen. Ich hole dir eine Brühe.«
»Danke, Giraldi«, antwortete Isana. Der alte Soldat ging hinaus, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit Faede und dem Heilwirken zu.
Der Schmerz, der dadurch ausgelöst wurde, dass sie sich den giftigen Substanzen in Faede aussetzte, hatte nicht nachgelassen. Immerhin hatte sie sich ein wenig daran gewöhnt, und so kannte sie ihn jetzt und konnte damit umgehen. Da sie von Tag zu Tag müder wurde, konnte sie ihn kaum mehr richtig von ihrer eigenen Erschöpfung unterscheiden, und damit wurde er zunehmend belangloser.
Sie machte es sich auf dem Stuhl bequem und blickte ins Leere. Die Infektion existierte inzwischen in ihrem Kopf als klares Bild.
Sie betrachtete sie wie einen Berg runder Steine, die hart und schwer waren, die sich allerdings auch sehr gut bewegen ließen. Isana wartete einen Augenblick lang, bis sich ihr Herzschlag und ihr Atem an die langsameren Rhythmen des Verwundeten angeglichen hatten. Schließlich packte sie vor ihrem inneren Auge den ersten Stein, hob ihn hoch, trug ihn zur Seite und warf ihn in einen gesichtslosen Bach in ihrer Fantasie. Und dieses Vorgehen wiederholte sie bedächtig und entschlossen, einen Stein nach dem anderen.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, da sie vollkommen damit beschäftigt war, Faedes Körper beim Kampf gegen das Gift zu helfen. Plötzlich jedoch spürte sie die Gegenwart einer anderen Person neben dem imaginierten Steinhaufen.
Da stand Faede und betrachtete stirnrunzelnd den Berg. Er sah ganz anders aus als in der Heilwanne, überhaupt nicht bleich und schwach. Stattdessen erschien er als junger Mann, schlaksig und noch nicht mit dem ausgereiften Körper des Erwachsenen. Das Haar trug er kurz nach Art der Legion, auf dem Gesicht war keine Spur von dem Feiglingsmal zu sehen, und er trug eine schlichte Hose und eine passende Tunika wie ein Soldat in der dienstfreien Zeit. »Hallo«, sagte er. »Was machst du hier?«
»Du bist krank«, erklärte Isana dem Bild. »Du brauchst Ruhe, Faede. Lass mich dir helfen.«
Bei der Erwähnung des Namens legte der Faede im Traum die Stirn in Falten. Einen Augenblick lang veränderte sich das Gesicht, alterte und zeigte einen Ansatz von den Narben auf der Haut. Er betastete sein Gesicht. »Faede …«, murmelte er. Plötzlich riss er die Augen auf und blickte Isana an. Das Gesicht nahm seine gewohnte Gestalt an, die Züge alterten stark, das Haar wurde länger, die Narben traten deutlich sichtbar hervor. »Isana?«
»Ja«, murmelte sie.
»Ich bin verletzt worden«, sagte er und blinzelte, als versuche er, klar zu denken.
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