Die Verschwörer von Kalare
würde sich nicht gestatten, ihre Moral zu untergraben. Deshalb stand er reglos an dieser Stelle, obwohl er insgeheim durchaus befürchtete, ein zweiter Blitz könnte eben genau hier einschlagen. Er atmete ruhig und wirkte hoffentlich so, als würde er der nahenden Bedrohung gleichmütig entgegenschauen.
Um ihn herum standen die Veteranen aus der Zenturie des Ersten Speers. Die anderen Zenturien ihrer Kohorte warteten entlang der übrigen Abschnitte und hielten sich bereit, die Mauer zu verteidigen oder ihren Kohortenbrüdern Hilfe zu leisten. Auf dem freien Platz hinter ihnen standen zwei weitere Kohorten, von denen die Soldaten der einen mehr oder weniger viel Erfahrung vorweisen konnten, während die andere vor allem aus Fischen bestand - einschließlich der Zenturie, die Max ausgebildet hatte. Insgesamt waren es fast tausend Legionares unter Waffen.
Tavi wusste, dass hinter ihnen in Schlüsselstellungen weitere tausend Mann bereitstanden, um gegebenenfalls die Verteidiger
am Tor zu unterstützen, und hinter ihnen, am Anfang der Brücke, warteten noch einmal dreitausend. Der Rest hielt Wache auf der Nordseite, und die übrige Reiterei stand auf dem Scheitelpunkt der Brücke, um schnell auf Attacken zu reagieren, die möglicherweise aus unerwarteten Richtungen erfolgten.
Als die Canim eintrafen, sah Tavi zuerst die Krähen.
Zunächst dachte er, es sei eine Rauchsäule, die sich dort im Südwesten aus den Hügeln erhob. Doch bewegte sich das Ungetüm nicht mit dem Wind, sondern wurde breiter und länger, bis Tavi schließlich die Krähen erkennen konnte, die über den Köpfen der Canim kreisten wie ein liegendes Wagenrad. Halb erwartete er schon, im nächsten Moment auch die feindlichen Krieger zu sehen, doch dauerte es noch das Viertel einer Stunde, bis das Krähenrad wirklich größer wurde.
Tavi begriff. Er hatte die Zahl der Krähen unterschätzt. Es waren mehr als vier- bis fünfmal so viele aasfressende Vögel über den Canim in der Luft, als er angenommen hatte. Demnach war das der größte Krähenschwarm, den er je gesehen hatte, größer noch als jener nach dem Gemetzel in der Zweiten Schlacht von Calderon.
Unter den Legionares auf der Mauer erhob sich Gemurmel. Anscheinend hatten auch sie nie zuvor so viele dieser Vögel auf einem Haufen gesehen.
Dann hörten sie die Trommeln und die klagenden Kriegshörner. Es begann als leises Grollen, das kaum zu vernehmen war, erhob sich jedoch rasch zu fernem polterndem Donner. Die Hörner plärrten traurig dazu, und zusammen klang es wie das Heulen eines unvorstellbar großen Wolfes, der durch ein Gewitter rennt.
Tavi spürte, wie die Männer hinter ihm unruhig wurden. Tausende Männer traten unbehaglich von einem Bein aufs andere, murmelten vor sich hin und überprüften ein ums andere Mal ihre Waffen und ihre Rüstung.
Auf dem offenen Gelände vor der Stadt erschienen Reiter und
Fußsoldaten und eilten auf das Tor zu. Das waren die Vorposten und Plänkler, die die Canim beobachtet und unterwegs aus dem Hinterhalt angegriffen hatten. Beim Rückzug hatten sie Gruppen gebildet und kamen nun müde an, nachdem sie einen ganzen Tag oder länger draußen unterwegs gewesen waren. Sicherlich würden nicht alle zurückkehren, denn ohne Zweifel war der eine oder der andere gefallen. Andere, und zwar die besten Holzwirker aus den Auxiliartruppen und Freiwillige aus der Umgebung, würden vor der Stadt ausharren, sich vor dem Feindheer verbergen, dessen Bewegungen beobachten und immer wieder in die Flanken und in den Rücken einfallen.
Zumindest sah so der Plan aus. Tavi war sich durchaus bewusst, wie rasch und endgültig die Wirklichkeit solche Absichten zunichtemachen konnte.
Die letzten Rückkehrer erreichten den Schutz der Mauern, und das Tor schloss sich mit einem dumpfen Schlag. Die Trommeln und Hörner kamen näher, und Tavi hätte am liebsten laut geschrien, weil ihm das Warten einfach unerträglich erschien. Er sehnte sich nach dem Kampf, nach dem Töten, nach der Bewegung; danach, irgendetwas zu tun.
Aber noch war es nicht so weit, und seine Männer empfanden sicherlich genauso wie er. Also stand Tavi äußerlich ruhig und anscheinend gelangweilt da, sah dem Feind entgegen und wartete.
Endlich marschierten die ersten Canim über die Kuppe des letzten Hügels, der sie vor seinem Blick verborgen hatte. Plünderer, die vor der eigentlichen Armee liefen, kamen in einer Linie über den Berg, die eine halbe Meile lang war. Als sie die Stadt und die aleranischen
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