Die Verschwörer von Kalare
Veränderung in der Frau war verblüffend. Im einen Moment sah sie aus wie eine Kurtisane, die in ihren Gemächern eine Flasche mit Aphrodin versetzten Wein genossen hatte, im nächsten stand eine schlichte, ansehnliche junge Frau mit ernstem Blick vor Amara. »Es geht nur darum, was du erwartest. Erwarte, den Blick jedes Mannes auf dich zu lenken, der dir begegnet, und es geschieht.«
Amara schüttelte den Kopf. »Sogar in« - sie deutete vage auf das Kleid - »diesem Ding bin ich kaum die Frau, nach der sich Männer umschauen.«
Rook verdrehte die Augen. »Männer schauen sich nach der Art Frau um, die atmet und wenig am Leibe hat. In diese Gruppe gehörst auch du.« Sie legte den Kopf schief. »Stell dir vor, sie wären Bernard.«
Amara blinzelte. »Wie bitte?«
»Geh für sie wie für ihn«, erklärte Rook ruhig. »In einer Nacht, in der du nicht die Absicht hast, ihn wieder aus deinem Bett zu lassen.«
Wieder erwischte sich Amara dabei, dass sie errötete. Aber sie schloss die Augen und versuchte es sich vorzustellen. Ohne die Augen zu öffnen, ging sie durch den Raum und stellte sich Bernards Zimmer in Kaserna vor.
»Besser«, lobte Rook. »Noch einmal.«
Sie musste einige Male üben, ehe Rook zufrieden war.
»Bist du sicher, wir schaffen es so?«, fragte Amara sie leise. »Hineinzugelangen?«
»Da gibt es keine Frage«, erwiderte Rook. »Ich bringe euch rein. Ich finde auch heraus, wo die Geiseln gefangen gehalten werden. Der schwierige Teil wird darin bestehen, von hier zu verschwinden. Wie immer bei Kalarus.«
Bernard klopfte an die Tür und sagte höflich: »Seid ihr schon fertig, meine Damen?«
Amara wechselte einen Blick mit Rook und nickte. Dann zog sie sich die Haube über das Haar und legte sich den falschen Stahlring um den Hals. »Ja«, sagte sie. »Wir sind fertig.«
43
Man hätte meinen mögen, sich in die Zitadelle eines Hohen Fürsten von Alera zu schleichen, seiner sichersten Bastion und Hort seiner Macht, müsse eine unmöglich zu vollbringende Leistung sein. Doch da sie von einer Meisterspionin ebendieses Hohen Fürsten geführt wurden, war es eigentlich recht einfach.
Schließlich hatte Fidelias es erst vor einigen Jahren ähnlich gemacht, als er die Fürstin Aquitania in die Zitadelle des Ersten Fürsten führte, den sie dann allerdings rettete - um sicherzustellen, dass sie und ihr verräterischer Gemahl die Nachfolge antreten könnten und nicht Kalarus.
In der Politik, entschied Amara, fand man doch die seltsamsten Bettgenossen. Ein Gedanke, der einen unangenehmen Beigeschmack hatte, wenn sie an die Rolle dachte, die sie in ihrer gegenwärtigen Verkleidung zu spielen hatte.
Amara wiegte sich in ihrem Sklavenkleid durch die Straßen von Kalare und bemühte sich, einen lüsternen Anblick zu bieten, wobei sie die Lippen stets geöffnet und die Augen halb geschlossen hielt. Ihre Bewegung hatte etwas seltsam Sinnliches an sich, und obwohl sie sich der Todesgefahr bewusst war, in der sie schwebten, wenn sie in aller Öffentlichkeit durch die Stadt gingen, hatte sie die Vernunft in den hintersten Winkel ihres Denkens verbannt. Dadurch bekam das Gehen beinahe etwas Lustvolles, und zwar auf ebenso süß-weibliche wie auch auf sündhaft kitzlige Art. Zum ersten Mal in ihrem Leben zog sie die stillen, abwägenden Blicke der Männer auf sich.
Das war gut. Demnach verkörperte sie ihre Rolle besser als gedacht. Und obwohl sie es sich kaum eingestehen mochte, bereitete es ihr ein kindliches Vergnügen, einfach angestarrt und begehrt zu werden.
Außerdem ging Bernard in der einfachen Kleidung und Ausrüstung eines reisenden Söldners nur eine Armlänge hinter ihr, und von den gelegentlichen Blicken über ihre Schulter wusste sie, dass er sie weitaus eindringlicher anstarrte als alle anderen Männer.
Die Fürstin von Aquitania ging vor Amara. Sie hatte ihre äußere Erscheinung durch Wasserwirken verändert, ihre Haut zu jenem Rotbraun abgedunkelt, wie es den Bewohnern von Rhodos eigen ist, und ihr Haar war nun kupferrot gelockt. Ihr Kleid war smaragdgrün, davon abgesehen entsprach es genau dem, was auch Amara trug. Die Hohe Fürstin bewegte sich mit der gleichen halbbewussten, wollüstigen Sinnlichkeit, und sogar noch besser als Amara. Die vorderste in der Reihe der Sklavinnen war Odiana in azurblauer Seide. Sie hatte ganz dunkles Haar und helle Haut und zarte Kurven. Aldrick ging vor ihr, und der große Schwertkämpfer strahlte solche Feindseligkeit aus, dass sie im dichten
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