Die Verschwörer von Kalare
besser nicht überschreiten sollte. Also schlug sie die Augen auf.
Die Fürstin von Aquitania verzog die vollen Lippen zu einem zufriedenen Lächeln. »Ich dachte schon, dass dich das wachrütteln würde. Es hätte ein wenig dümmlich ausgesehen, wenn du den ganzen Weg mit geschlossenen Augen dagesessen hättest.«
»Das hätte ich doch niemals gewagt, Fürstin«, erwiderte Isana. »Aus welchem Grunde sollte ich auch?«
Für einen kurzen Moment wurde Invidias Blick hart. Dann sagte sie: »Mir wurde zu verstehen gegeben, dass du ein kleines Treffen mit deiner Familie in Ceres planst.«
»Erst nach der Versammlung der Liga natürlich«, sagte Isana. »Mir wurde versichert, es gebe auch andere Reisemöglichkeiten zurück nach Calderon, falls es deine eigenen Pläne stören sollte.«
Invidias kühle Miene wurde plötzlich durch ein kleines Lächeln aufgelockert, das beinahe aufrichtig wirkte. »Es gibt kaum jemanden, der sich mir noch widersetzt, Isana. Eigentlich habe ich mich sogar auf diese Reise gefreut.«
»Ich auch, Fürstin. Ich vermisse meine Familie.«
Wieder lachte Invidia. »Abgesehen von unseren Besuchen bei meinen Anhängern und der Versammlung der Liga werde ich wenig von dir verlangen«, sagte sie. Daraufhin legte sie den Kopf zur Seite und beugte sich leicht vor. »Anscheinend hat man dich
noch nicht über die Tagesordnung der Versammlung in Kenntnis gesetzt.«
Isana sah sie fragend an.
»Gracchus Albus und sein Stab wurden eingeladen.«
»Der Senator Primus«, murmelte sie. Dann riss sie die Augen auf. »Der Antrag auf Abschaffung der Sklaverei im Senat?«
Die Fürstin von Aquitania seufzte. »Wenn nur die übrigen Damen der Liga auch so schnell von Begriff wären wie du.«
»Sie sollten gelegentlich mal einen Wehrhof führen«, erwiderte Isana trocken. »Da bekommt man ein Gefühl dafür, dass selbst kleinste Handlungen große Folgen nach sich ziehen können.«
Die Hohe Fürstin zuckte nur mit den Schultern. »Vielleicht hast du recht.«
»Wird Gracchus den Antrag unterstützen?«
»Er hat sich der Bewegung gegen die Sklaverei nie entgegengestellt. Seine Frau, seine Tochter und seine Geliebten sind der Meinung, er werde den Antrag unterstützen«, sagte die Fürstin.
Isana runzelte die Stirn. Diese Form der Einflussnahme gefiel ihr nicht, gehörte jedoch zu der mit Vorliebe eingesetzten Taktik der Dianischen Liga. »Und der Senat?«
»Das lässt sich unmöglich vorhersagen«, meinte die Fürstin von Aquitania. »Bei einer so wichtigen Angelegenheit ist nicht abzusehen, wer von wem den einen oder anderen Gefallen einfordern wird. Aber jedenfalls wird sich um die Sache ein echter Kampf entspinnen. Zum ersten Mal in der Geschichte von Alera besteht überhaupt die Chance, die Sklaverei abzuschaffen. Und zwar für immer.«
Gedankenverloren runzelte Isana die Stirn. Dieses Ziel war den Einsatz wert, und alle Menschen mit einem Gewissen würden sich dahinterstellen. Im Reich fristeten Sklaven ein trauriges Dasein, das aus harter Arbeit bestand. Nur selten bot sich ihnen die Chance, sich eines Tages freizukaufen, und das obwohl das Gesetz vorsah, der Besitzer müsse jedem Sklaven die Freiheit verkaufen, falls dieser ausreichend Geld zusammengespart hatte.
Weibliche Sklaven durften nicht darüber bestimmen, in welcher Weise ihr Körper benutzt wurde, und für die Männer galt im Grunde das Gleiche. Kinder wurden stets in Freiheit geboren, rein theoretisch jedenfalls, doch die Sklavenhalter hatten Formen von Besteuerung und Knebelverträge entwickelt, durch die auch der Nachwuchs praktisch von Geburt an zu Sklaven gemacht wurde.
Die Gesetze des Reiches sollten Sklaven eigentlich schützen. Die Institution der Sklaverei beschränkte sich auf Menschen, die aus freiem Willen in den Bund eingetreten und damit in der Lage waren, sich in einem bestimmten Zeitraum von ihren Schulden freizukaufen. Korruption und politische Einflussnahme machten es den Hohen Fürsten allerdings leicht, sich über diese Gesetze hinwegzusetzen und ihre Sklaven relativ willkürlich zu behandeln. Seit Isana zur Verbündeten der Fürstin von Aquitania in der Dianischen Liga geworden war, hatte sie über die Qualen, die Sklaven im Reich leiden mussten, sehr viel erfahren; es war übler, als sie sich in ihren schlimmsten Träumen vorgestellt hätte. Ihre Erlebnisse mit dem Sklavenhalter Kord waren ebenfalls ein Albtraum gewesen, der sie ihr Lebtag lang nicht mehr loslassen würde, und entsetzt hatte sie feststellen müssen,
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