Die Verschwörer von Kalare
Mienen, aber auch diszipliniert. An der Palisade um das Lager formierten sich die Reihen. »Muss ich mich erst auf die Suche nach ihm machen, Rari?«
Er sprach weiterhin ruhig und höflich, dennoch entging Isana seine liebevolle Verärgerung nicht. »Wie du wünschst, Herrin.« Er wandte sich den beiden Burschen zu, die die Zügel nervöser Pferde hielten, winkte sie zu sich und sagte: »Ihr beiden, mit mir.« Damit marschierte er in Richtung Ostseite des Lagers los. »Meine Damen, wenn ihr mir folgen wollt? Wir müssen uns beeilen. Ich weiß nicht, wann die Horde eintrifft, und vermutlich zählt jeder Augenblick.«
In diesem Moment erblickte Isana zum ersten Mal das Antlitz des Krieges.
Pfeile flogen durch die Dunkelheit. Einer der Burschen schrie auf, wurde jedoch vom schrillen Wiehern des Pferdes übertönt, das er hielt. Isana drehte sich um, und plötzlich dröhnte ihr der Herzschlag donnernd in den Ohren. Sie sah den Burschen taumeln und fallen. Aus seinem Bauch ragte ein weißgefiederter Maratpfeil. Das Pferd wieherte schrill, denn ein Pfeil hatte es im Hals getroffen, und das Tier versuchte verzweifelt, ihn mit einem Huf herauszuholen.
Aus der Dunkelheit ertönten weitere Schreie. Marat-Krieger mit bleicher Haut sprangen aus abgedeckten Wagen, die früher am Nachmittag, angeblich mit Vorräten beladen, ins Lager gefahren worden waren. Die Waffen, die sie schwangen, sahen aus wie schwarzes Glas oder schwarzer Stein.
Araris drehte sich um und bewegte sich wie ein Blitz. Isana stand vor Schreck der Mund offen, als drei weitere Pfeile diesmal auf sie zuflogen. Araris zerschlug sie mit dem Schwert zu Splittern und fing einen von diesen ganz nebenbei mit der stahlbewehrten Hand aus der Luft, damit er ihr nicht ins Gesicht flog. Er warf sich der Gruppe heulender Marat entgegen und schritt durch sie hindurch wie ein Mann durch eine Menschenmenge auf einem belebten Marktplatz. Er schob Schultern und Hüften hierhin und dorthin, stellte sich immer wieder auf die Zehenspitzen und drehte sich zwischen Vorbeigehenden um die eigene Achse, um nicht über irgendetwas zu stolpern.
Als er in seinem Tanz innehielt, lagen alle Marat auf dem Boden. Von den Angreifern war nur Krähenfutter geblieben.
Er schwang das Schwert zur Seite, schüttelte damit das Blut ab, schob die Waffe in die Scheide und bot Isana den Arm dar, als sei nichts geschehen. »Hier entlang, Herrin.«
»Hier entlang, meine Liebe«, murmelte eine tiefe, sehr männliche Stimme, »es wäre gar nicht nötig, so lange voneinander getrennt zu sein. Gewiss erkennst du die Vorteile?«
Isana riss den Kopf hoch; sie hatte auf dem bequemen Sitz in
der Windkutsche der Aquitanias gedöst, unterwegs von Isanahof zum Sitz der Hohen Fürstin. Der lebhafte Traum, der sich aus Einzelheiten ihrer Erinnerung genährt hatte, hing ihr länger nach als für gewöhnlich. Träume von dieser letzten Nacht hatte sie während der vergangenen zwei Jahre häufig gehabt. Die Angst, die Verwirrung und eine drückende Last der Schuld drängten sich ihr auf wie nie zuvor. Obwohl sie doch überhaupt gar keine Schuld traf.
Sie war das alles leid.
Und dabei stellten die Träume auch die kurzen Augenblicke des Glücks wieder her, die betörende Aufregung jener Frühlingstage der Jugend. In diesen wenigen Sekunden des lebendigen Schlafes wusste sie noch nicht, was danach geschehen war. Sie hatte ihre Schwester zurück.
Sie hatte einen Gemahl. Einen Liebsten.
»Ich habe dir ein ganz frisches Mädchen gekauft, Attis«, neckte eine Frau draußen vor der Windkutsche, zuversichtlich und mit klarer Stimme. »Die wird dir viel Spaß bereiten, bis ich zurück bin.«
»Sie ist hübsch«, erwiderte der Mann. »Aber sie ist nicht du.« Sein Ton wurde bitter. »Nicht so wie die Letzte.«
Die Tür der Luftkarosse öffnete sich, und Isana musste Bächlein rufen, damit der Elementar verhinderte, dass ihr die Tränen in die Augen traten. Ihre Finger berührten den Ring unter ihrer Bluse, der wie stets an der Kette um ihren Hals hing. Anders als sie selbst hatte er die Jahre makellos und strahlend überstanden.
Sie schüttelte den Traum endgültig von sich ab, so gut sie eben konnte, und zwang sich, ihre Gedanken auf die Gegenwart zu richten.
Der Hohe Fürst Aquitanius Attis, der vor fünf Jahren ein Komplott geschmiedet und in die Tat umgesetzt hatte, das Hunderte ihrer Nachbarn im Tal von Calderon das Leben kosten sollte, nickte ihr durch die offene Tür freundlich zu. Er war ein Löwe von
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