Die Verschwörer von Kalare
dass sein Verhalten im Reich noch nicht einmal ungewöhnlich war.
Die Dianische Liga, ein Bund, dem ausschließlich weibliche Cives angehörten - also Personen mit Rang und Namen sowie Einfluss, aber wenig Macht im Sinne des Gesetzes -, kämpfte seit Jahren für die Abschaffung der Sklaverei und suchte Unterstützung für ihre Ziele. Und zum ersten Mal war sie ihrem Ziel nahe gekommen, denn obwohl die Hohen Fürsten mit dem Ersten Fürsten an der Spitze über die Streitmacht des Reiches verfügten und über die Einhaltung der Gesetze und die Bestrafung von Verbrechen wachten, blieb es dem gewählten Senat vorbehalten, die Gesetze zu verabschieden.
Die Sklaverei bestand bereits seit der Reichsgründung, und der Senat besaß die Macht, ein neues Gesetz darüber zu beschließen
- oder sie sogar ein für alle Mal abzuschaffen. Die Dianische Liga betrachtete dies als ersten Schritt zu einer rechtlichen Gleichstellung der Frau.
Isana runzelte die Stirn. Obwohl sich die Fürstin stets an ihr Wort gehalten und ihre Verpflichtungen als Schutzherrin erfüllt hatte, gab sich Isana keineswegs der Illusion hin, dass sie ein persönliches Interesse an der Emanzipation hatte. Trotzdem war es verführerisch, den Traum tatsächlich verwirklichen und diese zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit beenden zu können.
Dann wieder war sie allerdings kaum in der Lage, mit der kühlen, berechnenden Logik zu denken, die in der Politik verlangt wurde. Nicht, wenn ein Treffen mit ihrer geliebten Familie so kurz bevorstand. Isana wünschte sich nichts sehnlicher, als Tavi endlich wiederzusehen - wenngleich der Gedanke an das unbehagliche Schweigen, das sich stets einstellte, sobald einer von ihnen eine Bemerkung über Politik oder verwandte Themen machte, ihr ein wenig die Vorfreude verdarb. Sie wollte sich so gern mit ihrem Bruder unterhalten. Die Verwaltung ihres Wehrhofs und ihre zwar nicht häufigen, aber doch regelmäßigen Reisen zu Invidia von Aquitania gaben ihr immer weniger Gelegenheit, sich mit ihrem kleinen Bruder zu treffen. Sie vermisste ihn.
Die Ironie, dass sie durch das halbe Reich reisen musste, um ihn treffen zu können - und dabei auch noch zusammen mit der Fürstin von Aquitania anreiste -, entging ihr dabei nicht. Und auch nicht die ernüchternde Tatsache, dass sie diese Entwicklung letztlich selbst in Gang gesetzt hatte, da sie mit ihrer gegenwärtigen Schutzherrin einen Bund eingegangen war, mit einem Fürstenpaar, das ohne Rücksicht auf Verluste ehrgeizig nach der Krone strebte.
Jetzt aber verscheuchte Isana ihre Familie aus ihren Gedanken, damit sie sich in aller Ruhe dem Gespräch mit der Fürstin widmen konnte. Was gewann Aquitania durch die Ächtung der Sklaverei?
»Es geht nicht um die Freiheit«, sagte sie laut, »nicht dir jedenfalls.
Es geht darum, Kalares Wirtschaft zu schädigen. Ohne Sklaven wird er keine Gewinne mehr auf seinen Feldern erzielen. Dann ist er zu beschäftigt damit, seine Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, als dass er sich noch mit deinem Gemahl um die Krone streiten könnte.«
Die Fürstin von Aquitania starrte Isana einen Moment mit unergründlicher Miene an.
Isana wich dem Blick ihrer Schutzherrin nicht aus. »Vielleicht ist es doch gar nicht so schlecht, dass nicht allzu viele in der Liga so schnell von Begriff sind wie ich.«
Der Gesichtsausdruck der Fürstin veränderte sich nicht. »Darf ich mich in dieser Angelegenheit auf deine Unterstützung - und deine Verschwiegenheit - verlassen?«
»Ja. Das habe ich schließlich versprochen«, sagte Isana. Sie beugte sich vor und schloss die Augen wieder. »Ich kann sowieso nichts tun, um euch von diesem Plan abzubringen. Und wenn dieses Vorgehen nebenbei noch zu etwas Gutem führen könnte, sehe ich auch keinen Grund, es zu versuchen.«
»Hervorragend«, antwortete die Fürstin. »Und sehr sachlich von dir.« Sie zögerte und dachte einen Moment nach, und Isana spürte die volle Last der fürstlichen Aufmerksamkeit. »Kaum ein Freier im Reich würde diese Situation so deuten wie du, Isana. Da stellt sich mir die Frage, auf welche Weise du dir den nötigen Blickwinkel für dieses politische Denken angeeignet hast. Es muss dich doch jemand unterwiesen haben.«
»Ich lese«, erklärte sie und brauchte die Müdigkeit in ihrer Stimme nicht vorzutäuschen. »Mehr nicht.« Mit der Erfahrung und der Übung vieler Jahre gelang es ihr leicht, jedes Gefühl aus ihrer Miene fernzuhalten, doch hing ihr der Traum immer noch nach, und daher musste sie
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