Die Verschwörung der fetten Frauen (German Edition)
man es uns gelehrt hat, wir denken uns als die Frauen, die mann zu sehen wünscht. Lutschbonbons in Geschenkpapier. Kleine Naschereien schnell ausgepackt und konsumiert. Leckere, pralle, saftige Augäpfelchen. Austrainierte Lustmaschinen mit genau kalkulierten Rundungen. Blödsinn, zischt Constanze Corzelli, die sich in meinem Kopf nach vorne drängt. Wir wollen doch nur schön sein! Für die Männer, aber vor allem: für uns! Wir wollen die geile Mode tragen, keine Dreimannzelte auf zwei Beinen sein. Wir wollen... Frauen sein? Dumme Kuh, faucht Sabine, du kleine manipulierte Schlampe! Huch, so kenne ich sie gar nicht! Ich stelle mir vor, wie Sabines Gesicht vor Zorn tiefrot wird, wie sie nach Argumenten sucht, wie sie mit den Armen fuchtelt, wie ihr Constanze spöttisch entgegen grinst. »Und außerdem ist es gesund, gesund, gesund!« schießt es aus der Diätpäpstin heraus. »Es ist krank, krank, krank!« schießt Sabine zurück.
Könnt ihr nicht mal aufhören? Hallo? Das ist mein Kopf! Ich bin Paula Pfaff und ich weiß langsam nicht mehr, was ich tun soll!
»Schnauze, Paula«, befiehlt Constanze, »du bist nur ein Objekt. Tu gefälligst, was man dir sagt.« »Genau«, bestätigt Sabine. »Tu was man dir sagt. Hör nicht auf die Tussie. Hör auf mich. Ich meine es nur gut mit dir.« »Nein, ich meine es nur gut mit dir!« korrigiert Constanze und setzt ihr liebstes Lächeln auf. »Außerdem... du lebst von mir und nicht... von der da. Kapiert?«
Kapiert. Wisst ihr was? Verpisst euch beide. Das ist mein Kopf! Das ist mein Körper!«
Ich schwebe nicht mehr. Ich fühle mich schwer, als ich zurück ins Büro komme, ich falle wie ein gut gefüllter Sack auf meinen Stuhl. Die beiden Textdateien starren mich an, ich starre zurück. Etwas muss geschehen. Rasmus. Morgen. Etwas wird geschehen.
Bumm!
Etwas ist geschehen. Wie befürchtet, habe ich die ganze Nacht wachgelegen. Meine Wunsch- und meine Albträume haben es fröhlich miteinander getrieben und kleine Bestien gezeugt. In Rasmus' Armen in Rasmus' Bett – und dann wandert seine Hand über meinen Bauch...
Meinen Bauch! Ja, die Haut dort ist straff! Aber nicht vor lauter Jugendlichkeit, sondern weil ich so verfressen bin! Dann hüpfen wir in Zeitlupe über eine grüne Wiese, ich trage ein geblümtes Kleid (logo...), Geigen zirpen romantische Fahrstuhlmusik... und plötzlich liegt Daniela Hungerbühler vor uns im Gras. Sie sonnt sich. Sie ist nackt. Sie war gerade beim Silikontanken, ihre Brüste sehen aus wie aus dem Lehrbuch für pubertierende Jungs. Und Rasmus, dieser elende Verräter, stürzt sich sofort auf die Hungerbühler...
In diesem Moment konnte ich nicht mehr. Ich weiß nicht, ob ich geschlafen habe oder nicht, jedenfalls saß ich aufrecht in meinem Bett, schwitzte, mein Herz schlug panisch bis in den letzten Winkel meines geschundenen Körpers. Ich stand auf, ich war wütend, wütend auf Rasmus, wütend auf die Hungerbühler, aber vor allem wütend auf mich selbst. Schluss damit!
An den Computer, die Textverarbeitung hochfahren. Schreiben. »Manifest! Wir sind alle fett! Von Sabine Müller«.
»Frauen! Es ist genug! Befreit euch aus den Ketten der Sklaverei, lasst die Einflüsterer hinter euch, hört nicht mehr auf ihre dummen Sprüche, mit denen sie euch Schuldgefühle einreden wollen! Werdet selbstbewusst! Solidarisiert euch mit all jenen, die jeden Morgen auf der Waage stehen und zu heulen anfangen! Wir alle sind fette Frauen und wir sind stolz darauf! Wir sammeln die Frauenzeitschriften mit ihren unsinnigen Diätseiten, ihren Constanze-Corzelli-Kolumnen und ihren Molly-Moden, wir werfen sie auf einen großen Haufen und entzünden ein Freudenfeuer! Wir tragen einen großen Button an der Jacke: ICH BIN FETT! Wir emanzipieren uns! Wir beginnen unsere Körper zu lieben, wir machen lustvollen Sex mit diesen Körpern, wir zeigen diese Körper und ihre pralle Erotik! Wir sind Frauen! Wir sind fett! Wir sind stolz darauf!«
So! Ha! Jetzt geht es mir besser!
Jedenfalls bis zum Morgen. Bis zum Frühstück mit meiner Süßen, die sich angewöhnt hat, mir kommentarlos das Nutellaglas rüber zu schieben. Ich greife zögernd danach. Hm. Ist ja Knäckebrot drunter, also darf ein bisschen Schokocreme drauf sein. Constanze Corzelli und Sabine Müller schließen einen Kompromiss.
»Was liegt heute an?« Die Frage habe ich befürchtet. So tun, als wäre alles ganz normal.
»Och... nichts besonderes, mein Schatz. Wie lange hast du heute Schule? Ach ja, gut.
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