Die Verschwoerung der Fuersten
ihrer deprimierenden Lage erschien es der Heilerin am klügsten, so viel wie nur möglich über Ludgers Familie zu erfahren. Es hatte sie ebenso erstaunt wie erfreut, dass der Burggraf eingelenkt hatte. Und machte sie ihre Sache gut, konnte er sich später schwerlich weigern, ihr im Streit mit dem Grafen von Rieneck beizustehen. Mochte der Burggraf auch ruppig sein, so schien er doch ein aufrechter Mann, der seine Schuld begleichen würde.
Aufmerksam hatte Garsende zugehört, als Bandolf im Hause von Blochen seine Fragen gestellt hatte, und die Antworten, die Ludgers Anverwandte gegeben hatten, schienen ihr merkwürdig zurückhaltend. Fast so, als wollten sie nicht, dass Ludgers Mörder gefunden wird, grübelte sie, als sie das Haus des Burggrafen verließ.
Warum Bandolf Ludgers Gespräch mit dem Gerber so viel Wert beimaß, mochte ihr nicht einleuchten, und dass er ihren Hinweis auf Rainald von Dachenrod so beiläufig weggewischt hatte, wollte ihr genauso wenig gefallen. Sie war drauf und dran gewesen, dem Burggrafen von Hermias delikatem Zustand zu berichten, hatte dann aber doch geschwiegen. Eine vage Vermutung, die in ihr aufgekeimt war, als Rainald sie mit seinem Ansinnen überfallen hatte, war eben nichts weiter als ein bloßer Gedanke. Garsende wusste Besseres, als deshalb einen Mann anzuschwärzen, der ihr so viel Schaden zufügen konnte. Nein, sie musste erst mehr erfahren.
Fastrada schien ihr die Frau zu sein, die am meisten über die Nacht wissen mochte, in der ihr Gemahl gestorben war. Ihr Gemüt war in Aufruhr, seit die Nachricht von Ludgers Tod gekommen war, und nicht einmal Garsendes Trank hatte die Hitze daraus verschwinden lassen. Hatte Fastrada
etwas gesehen in der Nacht, als sie auf ihren säumigen Gatten gewartet hatte?
Von Elgard wusste Garsende, dass sie Tochter und Schwiegertochter zum Nonnenkloster geschickt hatte, und so schlug sie ebenfalls den Weg durch die Pfauenpforte in Richtung Süden nach Mariamünster ein.
Kaum hatte die Heilerin die Ansammlung der armseligen Hütten in der Vorstadt hinter sich gelassen, breitete sich die Ebene des Wormser Umlandes mit satten Wiesen und Feldern vor ihr aus. Die Bergkette, die sich fern im Westen erstreckte, war verhangen, und das Tiefgrün der Wälder verlor sich im nebelhaften Grau der Wolken. Garsende genoss die reine Luft nach dem Regen und den intensiven Duft nach frisch geschnittenem Gras. Hie und da nickte ihr einer der Hörigen, die zwischen den Weinstöcken arbeiteten, einen Gruß zu. Die meisten Wiesen, Weingärten und Felder hier gehörten dem Kloster, ebenso wie der Wildbann über das kleine Waldstück, das Garsende durchschritt.
Die Heilerin beabsichtigte, vor dem Kloster auf die beiden Frauen zu warten. Die Nonnen von Mariamünster standen ihrer Heilkunst noch ablehnender gegenüber als der Burggraf, und insbesondere Mutter Margarete, die strenge Äbtissin des Klosters, verübelte ihr, dass Garsende den Schleier verweigert hatte, der der Bastardtochter des Grafen von Rieneck so großzügig angeboten worden war.
Während Garsende noch überlegte, wie sie ihre Anwesenheit hier erklären sollte, überholte sie ein Reiter. Sein Gesicht war unter der Kapuze des bestickten Umhangs verborgen. Hoch gewachsen, schlank und schneidig saß er im Sattel, und unter seinem Mantel lugte der Knauf eines Schwerts hervor.
Lothar!, schoss es Garsende durch den Kopf. Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. Dann erkannte sie, dass
die Farben des Reiters nicht die des Grafen von Braunschweig waren, die ihr heimlicher Geliebter als dessen Gefolgsmann trug. Dennoch starrte sie dem Reiter hinterher und atmete erst auf, als er um die nächste Biegung aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
»Himmel«, flüsterte sie. Und als sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte: »Verdammnis.« Niemals hätte sie gedacht, dass dieser Mann noch immer so fest in ihren Gedanken ankerte.
Ein paar Schritte vor ihr lag ein Findling am Wegesrand. Eine glückliche Fügung, denn ihre Knie waren weich geworden. Garsende ließ sich darauf nieder, und ihre Gedanken glitten unversehens zwei Jahre zurück, als sie Lothar von Kalborn zum ersten Mal begegnet war.
Sie hatte ihn blutend und schwach wie ein neugeborenes Kätzchen auf einem Treidelpfad am Rheinufer gefunden und ihn mühselig in ihre Hütte geschleppt, nachdem sie seine Wunden notdürftig verbunden hatte. Lothar war ein robuster Mann und, abgesehen von seinen Verletzungen, gesund. Es dauerte nicht lange,
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