Die Verschwoerung von Whitechapel
sich wieder mit großen Schritten auf den Weg. Erneut musste Gracie von Zeit zu Zeit rennen, um ihn wieder einzuholen.
Sie war hocherfreut, als er in einem Gasthaus einkehrte, um etwas zu essen. Ihre Füße brannten, und ihre Beine schmerzten. Eine Pause, in der sie sich hinsetzen, selbst etwas essen und ihn in Ruhe beobachten konnte, war ihr hochwillkommen.
Er bestellte Aalpastete. Staunend sah sie zu, wie er sie bis auf den letzten Rest vertilgte. Er kam ihr dabei unerbittlich vor. Als er fertig war, wischte er sich mit seiner Serviette die Lippen ab. Sie selbst bestellte Schweinefleischpastete, die ihr weit lieber war. Aal erfüllte sie mit Abscheu.
Eine halbe Stunde später brach Remus erneut auf, offenbar zu neuen Taten bereit. Sie folgte ihm wieder, entschlossen, sich auf keinen Fall abschütteln zu lassen. Inzwischen war es früher Abend, und auf den Straßen drängten sich die Menschen. Sie hatte den Vorteil, dass Remus nichts von ihrer Gegenwart ahnte und so auf sein Ziel konzentriert war, dass er sich nie umsah. Vielleicht fielen ihm ihre leichten Schritte auch nicht auf.
Nachdem sie zweimal ein Stück mit dem Pferde-Omnibus gefahren und eine kurze Strecke zu Fuß gegangen waren, befanden sie sich im Hyde Park, wo Remus vor einer Bank eindeutig auf jemanden wartete.
Fieberhaft überlegte Gracie, womit sie ihre Anwesenheit erklären konnte.
Remus ließ den Blick hin und her schweifen, weil er nicht zu wissen schien, aus welcher Richtung derjenige kommen würde, auf den er wartete. Dabei musste er sie unbedingt sehen und würde sich irgendwann fragen, was sie eigentlich dort wollte.
Was hätte Tellman an ihrer Stelle getan? Er als Kriminalbeamter musste ständig Leuten folgen. Hätte er versucht, sich zu verbergen? Dazu gab es keine Möglichkeit. Kein Baum stand
nah genug dafür. Außerdem würde sie aus einem Versteck nicht sehen können, mit wem er zusammentraf. Gab es einen plausiblen Grund für ihre Anwesenheit? Und wenn sie nun ebenfalls auf jemanden wartete? Würde er das glauben? Oder konnte sie sagen, sie habe etwas verloren? Schön und gut, aber warum hatte sie dann nicht gleich angefangen, danach zu suchen, als sie angekommen war? Ach ja – sie hatte gerade erst gemerkt, dass sie es vermisste!
Betont langsam ging sie den Weg zurück, den sie gekommen war, und sah dabei zu Boden, als suche sie nach einem kleinen kostbaren Gegenstand. Nach etwa zwanzig Schritten machte sie kehrt und suchte den Weg erneut ab. Als sie die halbe Strecke zurückgelegt hatte, kam ein Mann auf Remus zu.
Remus trat ihm in den Weg. Der Mann blieb ruckartig stehen und tat dann so, als wolle er um Remus herumgehen und seinen Weg fortsetzen.
Erneut vertrat ihm Remus den Weg und sagte etwas, aber so leise, dass Gracie, die knapp zehn Schritt entfernt war, nichts davon verstehen konnte.
Auf das Gesicht des Mannes trat Verblüffung. Er sah Remus genauer an, als bemühe er sich, ihn zu erkennen. Vielleicht hatte ihn Remus mit seinem Namen angeredet.
Gracie sah zu den beiden hinüber, wagte aber nicht, deren Aufmerksamkeit dadurch auf sich zu lenken, dass sie sich bewegte. Der Mann schien über fünfzig zu sein, sah recht gut aus, war ziemlich groß und hatte einen Bauchansatz. Seine unauffällige Kleidung stammte zwar von einem guten Schneider, war aber nicht luxuriös. Es war etwas, das Pitt hätte tragen können, nur dass an ihm dank seiner Neigung zur Unordnung nichts richtig zu sitzen schien. Dieser Mann wirkte gepflegt, etwa wie ein Regierungsbeamter oder ein leitender Bankangestellter im Ruhestand.
Remus sprach erregt auf den Mann ein, der recht heftig zu antworten schien. Es sah ganz so aus, als ob ihm Remus etwas vorhielte, seine Stimme wurde lauter, erregter, und Gracie hörte einzelne Worte.
»… haben davon gewusst! Sie waren mit …«
Der andere tat das mit einer raschen Handbewegung ab, aber
sein Gesicht war gerötet, und die Empörung in seiner Stimme klang gespielt.
»Dafür haben Sie keine Beweise! Und wenn Sie …« Seine Stimme wurde wieder leiser, sodass Gracie die nächsten beiden Sätze nicht hörte. »… ein äußerst gefährlicher Weg!«, schloss er.
»Dann sind Sie gleichermaßen schuldig«, stieß Remus wütend hervor, doch in seinen Worten lag unverkennbar Furcht. Als Gracie das merkte, verkrampfte sich ihr Magen, und ihre Kehle zog sich zusammen. Remus hatte offensichtlich große Angst.
An der Haltung des anderen Mannes, in seinem Gesicht, das sie trotz der zunehmenden Schatten des
Weitere Kostenlose Bücher