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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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und so alltäglich – waren Dinge wie die, über die sie sprachen, überhaupt möglich? Unwillkürlich musste er daran denken, dass es genügen würde, gegenüber einem der Männer in diesem Raum die entsetzlichen Vorfälle von vor vier Jahren zu erwähnen, um schlagartig Stille zu erzeugen. Das Blut würde den Anwesenden aus dem Gesicht weichen und Angst in ihre Augen treten. Noch jetzt würde es jedem vorkommen, als öffne sich eine innere Tür in die finstersten Abgründe der Seele.
    »Wissen Sie, wer das ist?« Tellmans Stimme klang belegt. Sein Mund und Hals waren so ausgedörrt, dass er unbedingt etwas trinken musste, aber die bloße Vorstellung ließ ihn schaudern.
    »Ich glaube schon«, gab Remus zur Antwort. »Aber ich sage es Ihnen nicht, es hat also keinen Sinn zu fragen. Ich kümmere mich darum, Genaueres herauszubekommen. Sie sehen zu, dass Sie etwas über Gull und Netley erfahren. Lassen Sie Sickert aus dem Spiel.« Sein Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass er es
ernst meinte. »Ich gebe Ihnen zwei Tage. Dann treffen wir uns wieder hier.«
    Tellman stimmte zu. Ihm blieb keine Wahl, ganz gleich, was Wetron oder sonst jemand tun mochte. Remus hatte Recht: Wenn seine Vermutung stimmte, ging es um eine weit größere Sache als jedes einzelne Verbrechen, weit größer auch als die Aufgabe, die grässlichsten Mordfälle aufzuklären, die London je erlebt hatte.
    Dennoch konnte er weder Pitt noch den Grund vergessen, warum er Remus ursprünglich gefragt hatte.
    »Und wie viel von all dem war Adinett bekannt?«
    Remus schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ein Teil bestimmt. Er wusste, dass die Leute Annie Crook aus der Cleveland Street ins Guy’s Hospital gebracht hatten und auch dass man Eddy fortgeschafft hatte.«
    »Und was ist mit Martin Fetters? Welche Rolle spielt er in dieser Geschichte? Was hat er gewusst?«
    »Wer ist Martin Fetters?« Einen Augenblick lang schien Remus verwirrt.
    »Der Mann, den Adinett umgebracht hat!«, sagte Tellman scharf.
    »Ach der!« Remus’ Züge hellten sich auf. »Ich habe keine Ahnung. Wenn es andersherum gewesen wäre und er Adinett umgebracht hätte, würde ich sagen, dass Fetters einer von denen war.«
    Tellman erhob sich. Was auch immer er tun würde, es musste schnell geschehen. Wenn Wetron auch nur noch ein einziges Mal merkte, dass er seine Arbeit nicht tat, musste er fürchten, entlassen zu werden. Könnte er Wetron oder irgendeinem anderen außer Pitt trauen, würde er sagen, was er wusste, und man würde ihm die nötige Zeit für die Ermittlungen geben und ihm möglicherweise sogar Unterstützung gewähren. Aber er wusste weder, wer dem Inneren Kreis Gefolgschaftstreue schuldete, noch, bis wohin dessen Einfluss reichte. Also war er auf sich allein gestellt.
    Er verließ das Gasthaus. Der Regen hatte nachgelassen.
    Sofern Sir William Gull diese entsetzlichen Taten begangen hatte, musste Tellman so viel wie möglich über ihn in Erfahrung
bringen. Die Gedanken und Bilder jagten sich in seinem Kopf, während er der Hauptstraße entgegen zur nächsten Haltestelle der Pferde-Omnibusse schritt. Es war ihm recht, wenn der Rückweg lange dauerte, denn er musste die Geschichte, die ihm Remus berichtet hatte, erst einmal verarbeiten und sich überlegen, was er als Nächstes tun konnte.
    Falls der Herzog von Clarence tatsächlich Annie Crook in welcher Art von Zeremonie auch immer geheiratet hatte und ein Kind aus dieser Verbindung hervorgegangen war, brauchte man sich nicht zu wundern, dass gewisse Leute größten Wert darauf legten, das geheim zu halten. Einmal ganz von den Thronfolgegesetzen abgesehen, konnte es angesichts der im Lande ohnehin herrschenden ausgeprägten antikatholischen Stimmung die Monarchie bis in ihre Grundfesten erschüttern, wenn diese Dinge bekannt wurden, zumal die Angehörigen des Königshauses gegenwärtig nicht besonders beliebt waren.
    Wenn sich aber zeigte, dass Parteigänger der Monarchie die grässlichsten Morde des Jahrhunderts begangen hatten, womöglich gar mit Wissen des Königshauses, käme es zu einer Revolution. Die Volkswut würde den Thron und mit ihm unter Umständen sogar die Regierung wegfegen. Was danach kam, konnte niemand wissen, aber man durfte mit einer gewissen Sicherheit annehmen, dass es auch nicht besser wäre.
    So oder so bedrückte Tellman die Vorstellung der Gewalttätigkeit, die unermessliche Wut, die dafür sorgen würde, dass mit dem vergleichsweise wenigen Schlechten auch so viel Gutes zugrunde ginge.

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