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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zweitrangig.
    Laut hallte der Messingklopfer in der Stille. Nichts rührte sich auf der Straße. Tellman klopfte erneut, ein drittes und ein
viertes Mal. Oben wurde Licht gemacht, und bald darauf kam Charlotte an die Tür. Ihre Augen waren vor Angst geweitet, ihr Haar lag wie ein dunkler Schatten über ihren Schultern.
    »Es ist nichts Schlimmes vorgefallen«, sagte Tellman sofort, weil ihm klar war, was sie fürchtete. »Aber ich muss Ihnen unbedingt bestimmte Dinge sagen, und es duldet keinen Aufschub.«
    Sie öffnete die Tür weiter, und er folgte ihr ins Haus. Sie rief Gracie und ging mit ihm in die Küche. Mit dem Schürhaken erweckte sie die glimmende Asche zu neuem Leben und legte einige Stücke Kohle auf. Zu spät versuchte er ihr zu helfen und kam sich tölpelhaft vor. Sie lächelte ihm zu und setzte den Kessel auf.
    Als Gracie schlaftrunken und mit gelösten Haaren erschien, kam sie Tellman vor wie ein vierzehnjähriges Mädchen. Alle drei nahmen um die Teekanne herum am Tisch Platz, und er berichtete, was er von Lyndon Remus erfahren hatte und was das bedeutete.
    Als er schließlich wieder auf die dunkle Straße hinaustrat, um den Heimweg anzutreten, war es fast drei Uhr. Charlottes Angebot, im Wohnzimmer auf dem Sofa zu übernachten, hatte er zurückgewiesen. Es schien ihm nicht richtig, und außerdem brauchte er die Einsamkeit der breiten Straße, um nachzudenken.
     
    Charlotte wachte früh auf. Schmerz erfüllte sie wegen Pitts Abwesenheit. Die Leere neben ihr war von der Art, die man spürt, wenn ein Zahn ausgefallen ist: Die Stelle schmerzt, ist empfindlich, fühlt sich nicht so an, wie es sein müsste.
    Dann fiel ihr Tellmans nächtlicher Besuch ein und alles, was er ihnen über die Morde in Whitechapel, über Prinz Eddy, Annie Crook und die entsetzliche Verschwörung des Schweigens berichtet hatte.
    Sie setzte sich auf und schob die Decken von sich. Es hatte keinen Sinn, länger liegen zu bleiben. Sie empfand weder innere noch äußere Wärme.
    Mechanisch wusch sie sich und zog sich an. Wie sonderbar, dass ein so schlichter Vorgang wie das Bürsten und Aufdrehen
ihres Haares so wenig Freude bereitete, wenn Pitt es nicht sehen konnte. Wie hatte er sie mitunter geärgert, indem er Strähnen aus den Nadeln zog. Die Berührung seiner Hände fehlte ihr noch mehr als der Klang seiner Stimme. Der körperliche Schmerz nagte in ihrem Inneren wie Hunger.
    Jetzt aber war nicht die Zeit, sich ihren Empfindungen hinzugeben, sie musste sich auf die Aufgabe konzentrieren, die sie zu erledigen hatte. War John Adinett etwa zum Mörder an Fetters geworden, weil Fetters zu denen gehört hatte, welche die Morde von Whitechapel samt der Rolle vertuschen wollten, die das Königshaus dabei gespielt hatte? Dann aber wäre es Adinetts Aufgabe gewesen, den zuständigen Stellen Meldung zu machen, damit dafür gesorgt wurde, dass man Fetters zur Rechenschaft zog.
    Das ergab keinen Sinn. Fetters als Republikaner wäre der Erste gewesen, derlei Vorfälle der Öffentlichkeit mitzuteilen. Vermutlich war es genau umgekehrt: Fetters hatte die Sache aufgedeckt, und Adinett hatte ihn getötet, um zu verhindern, dass er die Öffentlichkeit informierte. Das würde auch erklären, warum er sogar dann noch beharrlich geschwiegen hatte, als es darum ging, sein eigenes Leben zu retten. Immerhin war er nicht vor vier Jahren auf der Fährte der Verbrechen in der Cleveland Street gewesen, sondern erst vor wenigen Monaten, nachdem möglicherweise Fetters dort seine Erkundigungen eingezogen hatte. Vermutlich war er dahinter gekommen, dass dieser wusste, wie sich die Dinge verhielten, und bereit war, alles aufzudecken, um seine eigenen Ziele zu fördern. Abgesehen von seinem Wunsch, die Männer zu decken, die jene entsetzlichen Morde begangen hatten, wollte Adinett auch das Geheimnis bewahren, das sie umgab. Gleichgültig, ob er Monarchist war oder nicht, er war gegen die Revolution und alle Gewalttätigkeit und Zerstörung, die sie zwangsläufig mit sich bringen würde.
    Während Charlotte diesen Gedanken nachhing, ging sie langsam nach unten. Im Flur vor der Küche hörte sie, wie Gracie mit Töpfen hantierte und Wasser in den Kessel laufen ließ. Es war noch früh, und ihr blieb Zeit für eine Tasse Tee, bevor sie die Kinder weckte.
    Gracie fuhr herum, als sie Charlottes Schritte hörte. Müde, wie sie war, lächelte sie Charlotte bei ihrem Eintreten freundlich entgegen. In Gracies Augen lag ein tapferer und entschlossener Ausdruck, der

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