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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sein Herz schlug heftig. Narraways Augen schienen ihn zu durchbohren, und er wusste nach wie vor nicht, ob er ihm trauen konnte.
    »Sie wollten etwas, Pitt! Was?«, schnitt Narraways Stimme wie ein Messer durch seine Gedanken. Hatte auch er Angst? Er musste vom Mord an Sissons erfahren haben und würde alle Zusammenhänge verstehen. Selbst wenn er dem Inneren Kreis angehören sollte, konnte ein Aufstand nicht in seinem Sinne sein. Pitt hatte keine Möglichkeit, sich an eine andere Stelle zu wenden. Unwillkürlich kam ihm das Sprichwort in den Sinn »Wer mit dem Teufel essen will, muss einen langen Löffel haben«. Er dachte an die fünf Frauen von Whitechapel und die Kutsche, die nachts auf der Suche nach Opfern umhergefahren war. War diese Lösung besser als ein Aufstand oder gar eine Revolution?
    »Um Gottes willen, Mann!«, brach es aus Narraway heraus. Seine dunklen Augen blitzten, sein Gesicht war vor Erschöpfung bleich. »Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann tun Sie das! Verschwenden Sie meine Zeit nicht.«
    Diesmal war seine Angst unübersehbar. Sie lauerte unter der Oberfläche, und Pitt spürte, dass sie wie elektrischer Strom über seine Haut lief.
    »Sissons wurde nicht so getötet, wie es die Polizei annimmt.« Ihm war klar, dass er sich mit dieser Aussage ans Messer lieferte. Jetzt gab es kein Zurück mehr. »Ich habe ihn gefunden, und alles deutete auf Selbstmord hin. Er hatte eine Pistole in der Hand, und auf dem Tisch lag ein Brief, in dem er erklärte, sich das Leben genommen zu haben, weil er wegen
eines Darlehens, dessen Rückzahlung man ihm verweigerte, ruiniert sei.«
    »Aha. Und was ist mit diesem Brief passiert?« Narraways Stimme war leise und fast ausdruckslos.
    Pitt spürte, wie sich sein Magen hob.
    »Ich habe sie vernichtet.« Er schluckte. »Die Waffe habe ich ebenfalls verschwinden lassen!« Adinetts Brief oder den Schuldschein würde er auf keinen Fall erwähnen.
    »Warum?«, fragte Narraway.
    »Weil der Kronprinz der Darlehensschuldner war«, gab Pitt zurück.
    »Ich verstehe.« Narraway fuhr sich mit der Hand über die Brauen und strich das Haar nach hinten. In dieser Handbewegung lag eine Mattigkeit und eine Tiefe des Verstehens, die Pitts Besorgnis dahinschwinden ließ. Er hatte den Eindruck, endlich zu erkennen, was für ein Mensch Narraway war.
    Jetzt setzte er sich und wies auf den anderen Stuhl. »Und was ist das mit dem Juden, den man die Fabrik hat verlassen sehen?«
    Pitt lächelte trübselig. »Dahinter steckt Inspektor Harpers Versuch, einen Sündenbock zu finden – allerdings lässt sich dieser nicht ganz so gut für Harper einspannen wie der Kronprinz.«
    Narraway hob scharf den Blick. »Was meinen Sie damit?«
    Jetzt war ihm jeder Rückweg versperrt. Er musste jede Sicherheit fahren lassen. »Harper gehört zum Inneren Kreis«, begann Pitt. »Er war auf Sissons’ Tod eingestellt und hat schon darauf gewartet, dass man ihn rief. Er wollte die Sache als Selbstmord hinstellen und hat behauptet, ich hätte die Waffe gestohlen. Möglicherweise wäre er damit auch durchgekommen, wenn nicht Wally Edwards, der andere Nachtwächter, Einspruch erhoben hätte – und Wachtmeister Jenkins. Wally hat ihm klargemacht, dass Sissons wegen einer alten Verletzung gar nicht in der Lage war, sich zu erschießen: Er konnte die Finger seiner rechten Hand nicht benutzen.«
    »Ich verstehe.« Narraways Stimme klang bitter. »Und darf ich all dem entnehmen, dass Sie mir jetzt trauen? Oder sind Sie so verzweifelt, dass Ihnen keine Wahl bleibt?«
    Pitt war nicht bereit, weiter zu lügen. Außerdem verdiente Narraway vielleicht, dass man ihm traute. »Ich glaube nicht, dass Ihnen mehr als mir daran liegt, das East End in Flammen aufgehen zu sehen. Verzweifelt bin ich außerdem.«
    Schwarzer Humor trat flüchtig in Narraways Augen. »Jetzt muss ich mich wohl bei Ihnen dafür bedanken?«
    Pitt hätte ihm gern über die Morde von Whitechapel und das berichtet, was Remus wusste, aber das hieße, das Vertrauen zu weit zu treiben, und was einmal gesagt war, ließ sich nicht zurücknehmen. Also zuckte er nur die Achseln und sagte, statt eine direkte Antwort zu geben: »Können Sie erreichen, dass die Polizei die Sache keinem Unschuldigen in die Schuhe schiebt?«
    Narraway stieß ein kurzes Lachen aus. Es klang spöttisch und bitter.
    »Nein … kann ich nicht! Ich kann diese Leute nicht daran hindern, einem armen Juden die Schuld an Sissons’ Tod zu geben, wenn sie glauben, ihre Schwierigkeiten auf

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