Die Verschwoerung von Whitechapel
Prinzen auch persönlich engstens verbunden, begleitete ihn zu Sportveranstaltungen und gesellschaftlichen Ereignissen, erteilte ihm Ratschläge und besaß in jeder Beziehung sein uneingeschränktes Vertrauen.
Jetzt griff er ein, um eine unangenehme Situation aufzulösen.
»Natürlich müssen Sie das … äh … Sissons«, sagte er munter. »Die einzige Möglichkeit, Geschäfte zu machen, was? Aber jetzt wollen wir uns amüsieren. Nehmen Sie noch ein Glas Champagner, er ist exzellent.« Er wandte sich dem Prinzen zu. »Ich muss Sie beglückwünschen, Sir, Sie haben eine glänzende Wahl getroffen. Ich weiß wirklich nicht, wie Sie das fertig bringen.«
Der Thronfolger blühte förmlich auf. Hier hatte er es mit seinesgleichen zu tun, einem Mann, auf den er sich verlassen konnte – nicht nur in der Politik, sondern auch in gesellschaftlichen Angelegenheiten.
»Ja, nicht schlecht, was? Da habe ich einen guten Fang gemacht.«
»Einfach glänzend«, lobte Churchill und lächelte. Er war mittelgroß, hatte regelmäßige Gesichtszüge und einen weit ausladenden hochgezwirbelten Schnurrbart, der ihn bedeutend erscheinen ließ. Er war exquisit gekleidet und hielt sich mit
unübersehbarem Stolz. »Ich würde sagen, dazu muss unbedingt etwas Delikates auf den Tisch. Darf ich Ihnen etwas kommen lassen, Sir?«
»Nein … nein, ich komme schon mit.« Der Prinz ergriff die günstige Gelegenheit zu fliehen. »Ich muss unbedingt mit dem französischen Botschafter reden. Ordentlicher Mann. Sie entschuldigen uns, Sissons.« Mit diesen Worten wandte er sich um und schritt mit Churchill so rasch davon, dass Sissons nichts anderes übrig blieb, als etwas Unverständliches zu murmeln und sich zurückzuziehen.
»Verrückt«, sagte Somerset Carlisle leise zu Vespasia.
»Wer? Der Zuckerfritze?«
»Nicht, soweit ich weiß.« Er lächelte. »Zwar extrem langweilig, aber wenn das Verrücktheit ist, müsste man das halbe Land einsperren. Ich meine Churchill.«
»Ach, natürlich«, bemerkte sie beiläufig. »Sie sind bestimmt nicht der Erste, der das sagt. Zumindest weiß er, wo sein Vorteil liegt, und damit steht er erheblich besser da als in der leidigen Aylesford-Sache. Wer ist eigentlich der Mann mit den grauen Haaren, der so herüberstarrt?« Sie drehte den Kopf in die Richtung, um zu zeigen, wen sie meinte, und wandte sich dann wieder Carlisle zu. »Ich kann mich nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben, und ich würde sagen, er strahlt eine geradezu missionarische Leidenschaft aus.«
»Ihm gehört eine Zeitung«, gab Carlisle Auskunft. »Thorold Dismore. Ich zweifle, dass er mit der Art einverstanden wäre, wie Sie ihn beschreiben. Er ist Republikaner und überzeugter Atheist. Aber Sie haben durchaus Recht, an ihm ist etwas Predigerhaftes.«
»Ich habe noch nie von ihm gehört«, gab sie zur Antwort. »Und dabei dachte ich, ich kenne alle Londoner Zeitungsverleger.«
»Ich bezweifle, dass Sie sein Blatt lesen würden. Es ist zwar durchaus gut, aber er scheut nicht davor zurück, seine Ansichten deutlich durchblicken zu lassen.«
»Was Sie nicht sagen.« Mit fragend gehobenen Brauen fuhr sie fort: »Und warum sollte mich das hindern, die Zeitung zu lesen? Ich habe nie geglaubt, dass jemand Nachrichten weitergibt,
ohne seine eigenen Vorurteile mit einfließen zu lassen. Sind seine schlimmer als die von anderen?«
»Ich denke schon. Außerdem spricht er sich gelegentlich offen dafür aus, dass man etwas tun sollte, um ihnen zum Durchbruch zu verhelfen.«
»Oh.« Es entfuhr ihr wie ein kalter Luftstoß. Es hätte sie nicht überraschen dürfen. Sie sah aufmerksamer zu dem Mann hin. Er hatte scharfe Gesichtszüge, wirkte intelligent und wie jemand, den starke Überzeugungen beflügeln. Sie war überzeugt, dass er niemandem weichen würde und sein freundliches Wesen als Maske für etwas diente, das sich als entsetzlich erweisen konnte. Aber erste Eindrücke konnten täuschen.
»Wollen Sie ihn kennen lernen?«, fragte Carlisle.
»Schon möglich«, gab sie zur Antwort. »Aber ich möchte auf keinen Fall, dass er das erfährt.«
Carlisle lächelte breit. »Dafür werde ich sorgen«, versprach er. »So weit kommt es noch, dass ich ihm Gelegenheit gebe, sich etwas einzubilden. Sofern es überhaupt zu dieser Begegnung kommt, wird er überzeugt sein, dass es sein Einfall war, und er wird mir zutiefst dankbar sein, dass ich sie vermittelt habe.«
»Somerset, manchmal sind Sie fast ein wenig unverschämt«, sagte sie und
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