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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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überwältigend sein konnte.
    »Wir wollten eine Republik«, fuhr er fort. »Eine Stimme für das Volk. Grund und Boden für die Armen, ein Obdach für Menschen, die auf den Straßen schliefen, Krankenhäuser für die Kranken, Luft und Licht für die Insassen von Gefängnissen und Irrenhäusern. Es war einfach, sich das vorzustellen, einfach, es zu tun, als wir die Macht hatten … für eine kurze Weile, bevor sich die Tyrannei wieder festsetzte.«
    »Ihr hattet die Möglichkeiten nicht«, erinnerte sie ihn. Er hatte es verdient, dass man ihm die Wahrheit nicht vorenthielt, doch durfte man dabei nicht herablassend sein. Letzten Endes wäre die Republik gescheitert, ob nun die französischen Heere gekommen wären oder nicht, weil die Besitzenden nicht genug Geld zur Verfügung gestellt hätten, um die kränkelnde Wirtschaft in Gang zu halten.
    Schmerz trat auf seine Züge.
    »Ich weiß.« Er sah sich in dem herrlichen Saal um, in dem sie standen, von Musik und Geplauder umgeben. »Allein mit dem, was die Diamanten hier drin wert sind, hätten wir mehrere Monate durchhalten können. Was glaubst du, was bei solchen Banketten im Laufe einer Woche aufgetischt wird? Wie viel über den Hunger hinaus gegessen und wie viel fortgeworfen wird, weil es übrig war?«
    »Genug, um die Armen Roms zu ernähren«, gab sie zur Antwort.
    »Und was ist mit den Armen hier in London? «, fragte er trocken.
    In ihrer Antwort schwang die bittere Wahrheit. »Für sie würde es nicht genügen.«
    Er sah stumm auf die Menge. Sein Gesicht schien müde vom langen Kampf gegen die Trägheit der Herzen. Sie wusste, was er vor vielen Jahren in Rom gedacht hatte, und merkte, während sie ihn ansah, dass sich seine Überzeugungen in keiner Weise geändert hatten. Damals war ihm der Papst mit den Kardinälen ein Dorn im Auge gewesen, jetzt war es der Kronprinz mit seinen Hofschranzen, Bewunderern und Trabanten. Wenn man davon absah, dass es hier um die Krone des britischen Weltreichs und nicht um die Tiara des Papstes ging, gab es keinen Unterschied – derselbe Glanz, dieselbe Gleichgültigkeit, der bedenkenlose Einsatz von Macht, die menschliche Schwäche.
    Was hatte ihn nach London geführt? Wollte sie das wissen? Besser nicht. Dieser Augenblick war kostbar. Hier, inmitten der oberflächlichen Pracht des lauten Ballsaals, spürte sie die Wärme der Sonne Roms auf dem Gesicht, den Staub der Ewigen Stadt, und unter ihren Füßen die Pflastersteine, auf denen die
Marschtritte der Legionen nachhallten, die jeden Winkel der Erde erobert und »Ave Caesar!« gebrüllt hatten, während sie mit rot leuchtenden Helmbüschen und stolz zum Himmel gereckten Legionsadlern im Triumph vorüberzogen. Dort waren christliche Märtyrer den Löwen vorgeworfen und der Apostel Petrus mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden, dort hatten Gladiatoren gekämpft und Michelangelo die Sixtinische Kapelle ausgemalt.
    Sie wollte nicht zulassen, dass die Vergangenheit die Gegenwart verdüsterte, denn dazu war sie zu kostbar, zu sehr in ihrem Traum verwoben.
    Nein, sie würde ihn lieber nicht fragen.
    Dann war der Augenblick vorüber, sie waren nicht länger allein. Ein gewisser Richmond trat zu ihnen, stellte seine Frau vor, und gleich darauf kamen auch Charles Voisey und Thorold Dismore, womit sich das Gespräch allgemeinen Dingen zuwandte. Es war belanglos und ein wenig belustigend, bis Mrs. Richmond irgendetwas über Troja und Schliemanns Aufsehen erregende Entdeckungen sagte. Vespasia bemühte sich, der Gegenwart und deren Banalitäten ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
    »Bemerkenswert«, sagte Dismore, »wie unbeirrbar der Mann sein Ziel verfolgt.«
    »Und was sie da alles entdeckt haben!«, begeisterte sich Mrs. Richmond. »Agamemnons Maske, den Halsschmuck, den vermutlich Helena getragen hat. Damit werden die Gestalten auf eine Weise lebendig, wie ich mir das nie vorgestellt hatte … Es sind mit einem Mal richtige Menschen aus Fleisch und Blut, ganz wie wir. Es ist eine sonderbare Empfindung zu sehen, wie sie aus dem Reich der Sagen heraustreten und zu Sterblichen werden, mit einem Leben, das greifbare Dinge hinterlässt, von Menschenhand gefertigte Gegenstände.«
    »Immer vorausgesetzt, dass das alles stimmt«, sagte Voisey vorsichtig.
    »Daran dürfte es doch kaum Zweifel geben«, begehrte sie auf. »Haben Sie einen von Martin Fetters’ großartigen Aufsätzen gelesen? Der Mann ist brillant. Wenn er darüber schreibt, sieht man die Dinge richtig vor sich.«
    Einen

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