Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
vor ihm stehen und sog tief den Geruch nach feuchter Erde und Blüten ein. Nach einem flüchtigen Blick nach
links und rechts zu den Blumenbeeten hob er das Gesicht dem Sonnenlicht entgegen, das am anderen Ende der Rasenfläche durch das Kastanienlaub leuchtete.
    Gerade, als Pitt etwas sagen wollte, um die Spannung aufzulösen, begann sein Besucher: »Adinett ist mit seiner Berufung nicht durchgekommen«, sagte er ruhig. »Morgen wird es in den Zeitungen stehen. Ein Mehrheitsvotum – vier zu eins. Voisey hat es verkündet. Er war einer der vier. Als Einziger hat Abercrombie dagegen gestimmt.«
    Pitt begriff nicht, warum Juster so finster dreinblickte, als verkündete er eine Niederlage und nicht einen Sieg. Er konnte sich das höchstens damit erklären, dass auch Juster, ganz wie er, die Todesstrafe als etwas ansah, das den herabsetzte, der sie verhängte, ganz davon abgesehen, dass sie ihrem Opfer keine Möglichkeit ließ, seine Tat zu sühnen, keine Zeit, sich zu ändern. Das änderte nichts an seiner festen Überzeugung, dass Adinett ein abscheuliches Verbrechen begangen hatte, doch hatte ihn von Anfang an die Frage beschäftigt, was der Grund dafür gewesen sein mochte. Immerhin war es denkbar, dass sich die Angelegenheit anders darstellte, wenn man die ganze Wahrheit wüsste.
    Aber auch, wenn das nicht der Fall war, ließ sich nicht leugnen, dass diese Art der Bestrafung jene, die sie verhängten, mehr erniedrigte als den, der sie erlitt.
    Auf Justers von der Abendsonne beschienen Zügen lag tiefe Besorgnis. Seine Augen blickten matt und glanzlos.
    »Man wird ihn hängen«, sagte Pitt.
    »Selbstverständlich«, gab Juster zur Antwort. Das Gesicht nach wie vor finster verzogen, stieß er die Hände in die Taschen. »Deswegen bin ich auch nicht gekommen. Morgen können Sie es in der Zeitung lesen. Ganz davon abgesehen wissen Sie über die Sache ebenso viel wie ich. Ich bin gekommen, um Sie zu warnen.«
    Pitt war verblüfft. Trotz des lauen Abends überlief ihn ein Schauer.
    Juster biss sich auf die Lippe. »In der Beweisführung gibt es nicht die geringste Lücke, aber viele wollen nicht glauben, dass jemand wie John Adinett zu einer solchen Tat fähig war. Hätten
wir denen ein Motiv liefern können, sähe die Sache unter Umständen anders aus.« Er sah Pitts Gesichtsausdruck. »Damit meine ich nicht den Mann auf der Straße – der ist zufrieden, wenn Gerechtigkeit geschieht … vielleicht freut er sich sogar, dass es einem Mann in Adinetts Position ebenso gehen kann, wie es ihm selbst gehen würde. Solchen Menschen braucht man nichts zu erklären.« Er blinzelte ein wenig in die Sonne. »Ich meine Männer aus Adinetts Gesellschaftsschicht, mächtige Männer.«
    Pitt war immer noch unsicher. »Da die Berufungsinstanz das Urteil nicht revidiert hat, war sie doch offenbar sowohl von Adinetts Schuld als auch von einem einwandfreien Verlauf des Verfahrens überzeugt. Schon möglich, dass denen das gegen den Strich geht, aber was können sie noch tun?«
    »Sie für Ihre Unerschrockenheit züchtigen«, sagte Juster und lächelte schief. »Und möglicherweise auch mich – falls sie zu der Ansicht gelangen, dass ich auf Anklageerhebung gedrängt habe, ohne wirklich dazu genötigt gewesen zu sein.«
    Die laue Abendbrise ließ das Laub der Kastanie rauschen, und ein Dutzend Stare stieg mit schwirrendem Flügelschlag auf.
    »Ich dachte, diese Leute hätten mir bereits im Zeugenstand jede Kränkung zugefügt, die ihnen in den Sinn kam«, sagte Pitt. Der Gedanke an die gegen seinen Vater vorgebrachten Beschuldigungen erfüllte ihn mit Zorn und Schmerz. Es hatte ihn überrascht, dass er nach wie vor so sehr darunter litt. Er hatte angenommen, diese Dinge in den Hintergrund gedrängt zu haben, merkte jetzt aber, dass die Wunde keineswegs verheilt war. Es erstaunte ihn, wie leicht es gefallen war, sie erneut aufzureißen.
    Juster sah unglücklich drein. Seine Wangen waren rötlich überhaucht. »Tut mir Leid, Pitt. Ich dachte, Sie hinreichend auf die möglichen Unannehmlichkeiten vorbereitet zu haben, das aber scheint nicht der Fall zu sein. Wie es aussieht, ist die Sache noch längst nicht ausgestanden.«
    Ein Unbehagen erfüllte Pitt, und es fiel ihm einen Augenblick lang schwer, Luft zu holen. »Was könnten die denn groß tun?«
    »Ich weiß es nicht. Doch vergessen Sie nicht, Adinett hat einflussreiche Freunde … Zwar reicht ihre Macht nicht aus, ihn
vor dem Galgen zu retten, aber sie werden ihre Niederlage keinesfalls

Weitere Kostenlose Bücher