Die Verschwoerung von Whitechapel
seine Gedanken bei Pitt in Spitalfields und bei der Frage, was Adinett in der Cleveland Street getan haben mochte, dass sich Lyndon Remus so brennend dafür interessierte.
Sein Verstand sagte ihm, dass er die Einbrüche nicht aufklären würde, wenn er sich nicht auf seine Arbeit konzentrierte, und ihm das nur noch mehr Ärger eintragen würde. Doch seine Gedanken ließen sich davon nicht beeindrucken, sie kehrten immer wieder an ihren Ausgangspunkt zurück. Sobald es ihm möglich war, mit der Tagesarbeit aufzuhören, verließ er die Wache in der Bow Street, was in keiner Weise seiner üblichen Arbeitshaltung entsprach, und begann sich ein Bild von Remus zu machen. Er erkundete dessen Lebensgewohnheiten und stellte fest, wo er wohnte, wo er gewöhnlich aß, welche Gaststätten er aufsuchte und an welche Blätter er seine Berichte vorwiegend verkaufte. Das Muster, das sich dabei herausstellte, hatte sich im Laufe des letzten Jahres geändert – die Zahl der an Thorold Dismore verkauften Artikel hatte immer mehr zugenommen, bis er in den Monaten Mai und Juni schließlich fast nur noch für ihn gearbeitet hatte.
Erst gegen Mitternacht, als die Gaststätten bereits geschlossen waren, hatte Tellman den Eindruck, Remus jederzeit aufspüren
zu können, wenn er ihn brauchte. Er würde seinem Vorgesetzten am nächsten Morgen eine Lüge auftischen, was er noch nie getan hatte, denn diesmal würde keine der üblichen Ausflüchte genügen, um zu erklären, was er tun würde. Falls man ihm auf die Schliche kam, würde er sich eine entsprechende Rechtfertigung ausdenken müssen.
Trotz seines durchaus bequemen Bettes schlief er schlecht und wachte früh wieder auf. Zum Teil ging das darauf zurück, dass ihm unaufhörlich Vorstellungen davon durch den Kopf gingen, welche persönlichen Laster oder Geheimnisse Adinett nach Mile End geführt haben mochten, derentwegen Martin Fetters ihn dann unter Druck gesetzt hatte. Doch nichts von all dem schien zu dem Eindruck zu passen, den ihm der kleine Tabakladen in jener ganz alltäglich wirkenden Straße gemacht hatte.
Er bereitete sich rasch eine Tasse Tee und kaufte ein belegtes Brot beim ersten Straßenhändler, an dem er vorüberkam, während er zur Straßenecke vor Remus’ Wohnung in der Nähe der Pentonville Road eilte, damit er ihm auf seinen Wegen durch die Stadt folgen konnte.
Er musste nahezu zwei Stunden warten, bis Remus schließlich frisch rasiert aus dem Haus trat. Der saubere weiße Kragen war so hoch und steif, dass er kaum bequem sein konnte, und sein zurückgekämmtes Haar war noch feucht, als er wenige Schritte von Tellman entfernt vorüberschritt, der mit gesenktem Kopf in einer Toreinfahrt stand und sich vom langen Warten ziemlich zermürbt und wütend fühlte. Offensichtlich konzentrierte sich Remus auf das Ziel, dem er entgegenstrebte, denn er schien nichts um sich herum wahrzunehmen.
Tellman folgte ihm in fünfzehn Schritt Abstand, bereit, diesen zu verkürzen, wenn die Straßen belebter wurden und er damit rechnen musste, ihn aus den Augen zu verlieren.
Nach einem knappen Kilometer musste er ein Stück rennen und hätte trotzdem fast den Pferde-Omnibus verpasst, den Remus bestiegen hatte. Schwer atmend ließ er sich auf einen Platz neben einem dicken Mann in einem gestreiften Mantel fallen, der ihn belustigt musterte. Innerlich verwünschte Tellman seine übergroße Vorsicht, denn Remus hatte sich nicht ein einziges Mal umgesehen.
Es war Tellman durchaus klar, dass die Angelegenheit, in der er Remus verfolgte, möglicherweise nicht das Geringste mit Pitt zu tun hatte. Unter Umständen sah Remus sie bereits als abgeschlossen an, weil er gefunden hatte, was er suchte – oder weil seine Suche ergebnislos geblieben war. Jeden Morgen hatte Tellman die Zeitungen auf Artikel durchforscht, die mit Adinett oder Martin Fetters zu tun hatten, aber nichts gefunden – und auch sonst keinen, der auf Remus als Verfasser hinwies. Alle Blätter walzten die entsetzlichen Vergiftungsfälle von Lambeth auf der ersten Seite breit aus. Allem Anschein nach waren bereits sieben junge Prostituierte diesem heimtückischen Anschlag zum Opfer gefallen. Entweder hatte diese jüngste Abscheulichkeit die Ereignisse in der Cleveland Street und um sie herum in den Hintergrund gedrängt, oder Remus war noch immer auf der Fährte. Diesmal schien sie ihn nach St. Pancras zu führen.
Als Remus ausstieg, folgte ihm Tellman vorsichtig und in gehörigem Abstand, doch auch jetzt sah sich Remus
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