Die Verschwörung
das Schließfach allein zu überprüfen. Wenn es nichts Verdächtiges enthielt, würde sie es niemandem erzählen. Sie würde weiterhin versuchen, herauszufinden, warum Newman einen Decknamen verwendet hatte, aber das außerhalb ihrer Dienstzeit. Sie wollte die Erinnerung an Ken nicht ohne überzeugenden Grund zugrunde richten. Das war sie ihm schuldig.
Als sie ging, saß Anne Newman auf dem Sofa, das aufgeschlagene Fotoalbum im Schoß. Das Ironische an der Sache war, daß Ken Newman sich möglicherweise selbst zu einem schnellen Tod verhelfen hatte, falls er im Fall Lockhart die undichte Stelle gewesen war. Im gleichen Augenblick kam Brooke der Gedanke, daß sein Auftraggeber womöglich geplant hatte, den Maulwurf und sein Hauptziel in einem Aufwasch zu erledigen. Nur die an Ken Newmans Pistole abgeprallte Kugel hatte verhindert, daß Faith Lockhart mit Ken zusammen draufgegangen war. Und vielleicht auch Lee Adams’ Beistand?
Wer auch immer dahinter steckte, er wußte genau, was er tat. Was für Brooke wiederum schlecht war. Im Gegensatz zu den Bösewichten in Romanen und Filmen waren die meisten Kriminellen nicht so gewitzt, daß sie der Polizei bei jeder Gelegenheit ein Schnippchen schlugen. Die Mehrzahl der Mörder, Vergewaltiger, Einbrecher, Räuber, Drogenhändler und schrägen Vögel war in der Regel ungebildet oder gestört, oder es handelte sich um Junkies oder Säufer, die weder Gott noch die Welt fürchteten, solange sie high waren, aber vor ihrem eigenen Schatten davonliefen, sobald die Wirkung ihres speziellen Gifts nachließ. Sie ließen jede Menge Spuren zurück und wurden in der Regel geschnappt. Manche lieferten sich auch selbst ans Messer oder wurden von »Freunden« verpfiffen. Diese Sorte von Kriminellen wurde vor Gericht gestellt, landete im Gefängnis und wurde in seltenen Fällen hingerichtet. Sie waren nicht das, was man Profis nannte.
Brooke wußte, daß dieser Fall anders lag. Amateure hatten keine Möglichkeit, altgediente FBI-Agenten zu schmieren. Sie heuerten auch keine im Wald lauernden Killer an, die auf ihre Opfer warteten. Sie gaben sich nicht als FBI-Agenten aus und hielten der Polizei keine fachmännisch gefälschten Ausweise unter die Nase, um sie zu verscheuchen. In Brooke Reynolds’ Kopf wirbelten so viele finstere Verschwörungstheorien herum, daß es ihr kalt über den Rücken lief. Solange man auch in diesem Job tätig war - die Angst verließ einen nie. Wer leben wollte, mußte Angst haben. Nur Tote hatten keine Angst.
Auf dem Weg hinaus ging sie im Korridor unter einem blinkenden Feuerdetektor her. Es gab im Haus noch drei andere, einschließlich dem in Ken Newmans Büro. Zwar waren die Detektoren an die Stromverkabelung des Hauses angeschlossen und funktionierten konstruktionsgemäß, aber sie enthielten auch hochkomplizierte Überwachungskameras mit nadeldünnen Objektiven. Zwei Wandsteckdosen auf jeder Etage waren ähnlich »modifiziert«. Die Veränderungen hatte man vor zwei Wochen vorgenommen, als die Newmans einen ihrer seltenen gemeinsamen Tagesausflüge gemacht hatten. Diese Art der Überwachung basierte auf Stromleitungsträgern, einer Technik, die sehr beliebt war beim FBI. Und bei der Central Intelligence Agency.
Robert Thornhill übersah nichts. Nun würde seine Aufmerksamkeit sich Brooke Reynolds zuwenden.
Als sie in den Wagen stieg, war ihr ziemlich klar, daß sie möglicherweise an einem Wendepunkt ihrer beruflichen Laufbahn stand. Sie brauchte wahrscheinlich all ihren Einfallsreichtum und ihre ganze innere Kraft, um diesen Fall zu überstehen. Doch das einzige, wonach ihr im Moment der Sinn stand, war, nach Hause zu fahren, um ihren wunderbaren Kindern die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen zu erzählen. Und zwar so langsam, so genau und so farbig wie möglich.
KAPITEL 31
Der Wind wehte heftig am Strand, und die Temperatur war drastisch gesunken. Faith knöpfte ihr Oberhemd zu. Dann zog sie trotz der Kälte die Sandalen aus und nahm sie in die Hand.
»Ich möchte den Sand spüren«, erklärte sie Lee. Es herrschte Ebbe, und sie hatten jede Menge Platz zum Laufen. Am Himmel waren verstreute Wolken zu sehen. Der Mond war fast voll, die Sterne kleine Lichtpünktchen, die auf sie herunterstarrten. Weit draußen auf dem Wasser sahen sie ein Licht; möglicherweise die Positionslampe eines Schiffes oder eine stationäre Boje. Abgesehen vom Wind war es absolut still. Keine Autos, keine plärrenden Fernsehapparate, keine Flugzeuge, keine anderen
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