Die Verschwörung
Statt dessen würde sie in ihren Wagen steigen, ins Büro fahren und an der Sache weiterarbeiten, wie sie es im Lauf der Zeit bei hundert anderen Fällen auch getan hatte. Sie hatte mehr von diesen Fällen gewonnen als verloren. Und das war das Höchste, was man in einem Job wie diesem von jemandem erwarten konnte.
KAPITEL 35
Lee war sehr spät und mit dem schlimmsten Kater aller Zeiten erwacht. Deshalb hatte er sich zu einer Runde Joggen entschlossen. Anfangs sandte jeder Schritt im Sand tödliche Pfeile durch sein Hirn. Als seine Verspannung sich dann etwas löste und er tief die eiskalte Luft einatmete, den salzigen Wind auf dem Gesicht spürte und etwa anderthalb Kilometer hinter sich hatte, verschwanden die Auswirkungen des Besäufnisses. Als er zum Strandhaus zurückkam, umrundete er das Schwimmbecken und nahm seine Kleidung und die Pistole an sich, setzte sich eine Zeitlang in einen Korbsessel und ließ sich von der Sonne wärmen. Als er schließlich ins Haus ging, roch es nach Kaffee und Eiern.
Faith war in der Küche und schenkte sich gerade eine Tasse Kaffee ein. Sie trug Jeans, ein kurzärmeliges Hemd und war barfuß. Als sie Lee hereinkommen sah, nahm sie noch eine Tasse und füllte sie. Für einen Moment freute er sich über diese schlichte kameradschaftliche Geste. Dann aber wischte sein Tun vom Abend zuvor das Gefühl hinweg wie die Meereswogen, die erbarmungslos eine Sandburg zerstörten.
»Ich dachte schon, du würdest den ganzen Tag schlafen«, sagte Faith, deren Stimme äußerst beiläufig klang, wie Lee fand, die ihn aber nicht anschaute.
Es war der beschämendste Augenblick in seinem bisherigem Leben. Was sollte er sagen? Hör mal, tut mir leid, daß ich gestern abend versucht habe, dich zu vergewaltigen.
Er kam in die Küche, nahm die Tasse und hoffte irgendwie, daß der Knoten in seiner Kehle ihn erdrosselte. »Manchmal besteht die beste Kur gegen die größte und unverzeihlichste Dummheit, die man je begangen hat, darin, daß man rennt, bis man umfällt.« Er warf einen Blick auf die Eier. »Riecht gut.«
»Hält aber keinem Vergleich mit der Mahlzeit stand, die du gestern aufgetischt hast. Andererseits bin ich keine geborene
Köchin. Ich gehöre wohl eher zu denen, die sich vom Zimmerkellner bedienen lassen. Aber das hast du sicher längst herausbekommen.« Als sie an den Herd trat, fiel ihm auf, daß sie leicht hinkte. Er bemerkte auch die Schrammen an ihren nackten Handgelenken. Er legte die Pistole unter die Theke, ehe es dazu kam, daß er sich aus einem plötzlichen Schamgefühl heraus das Hirn wegpustete.
»Faith?«
Sie drehte sich nicht um; sie rührte nur die Eier in der Pfanne.
»Wenn du willst, daß ich gehe, dann verschwinde ich«, sagte Lee.
Da sie den Anschein erweckte, darüber nachzudenken, beschloß er, ihr zu sagen, worüber er während des Dauerlaufs nachgedacht hatte. »Was gestern abend passiert ist ... was ich dir gestern abend angetan habe . dafür gibt es keine Entschuldigung. So etwas ist mir noch nie passiert. Das ist gar nicht meine Art. Ich kann’s dir nicht verübeln, wenn du mir nicht glaubst. Aber es stimmt.«
Sie drehte sich plötzlich zu ihm um, und ihre Augen schimmerten feucht. »Tja, und ich kann nicht sagen, daß ich mir nicht vorgestellt habe, daß zwischen uns was passiert - obwohl wir in einem Alptraum leben. Ich habe mir nur nicht vorgestellt, daß es so ausfällt ...« Die Stimme versagte ihr, und sie drehte sich rasch wieder um.
Lee schaute zu Boden und nickte leicht. Ihre Worte schmetterten ihn doppelt nieder. »Ich stecke nämlich in einem ziemlichen Dilemma. Mein Bauch und mein Gewissen sagen mir, daß ich aus deinem Leben verschwinden soll, damit du dich nicht immer, wenn du mich siehst, daran erinnerst, was letzte Nacht passiert ist. Aber ich möchte dich in dieser Situation auch nicht allein lassen. Nicht, solange jemand darauf aus ist, dich umzubringen.«
Faith schaltete den Herd ab, baute zwei Teller vor sich auf, belegte sie mit Rührei, bestrich zwei Scheiben Toast mit Butter und stellte alles auf den Tisch. Lee rührte sich nicht von der Stelle. Er schaute sie nur an. Sie bewegte sich langsam, und ihre Wangen waren tränenfeucht. Die Schrammen an ihren Gelenken waren wie Fesseln, die seine Seele einschnürten.
Er nahm ihr gegenüber Platz und stocherte in seinem Frühstück.
»Ich hätte dich gestern abend aufhalten können«, sagte sie unverblümt. Tränen liefen über ihre Wangen, aber sie machte keinen Versuch, sie
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