Die Verschwörung
gewußt, hätte ich ihn um Hilfe gebeten.«
»Mußt du dir noch was anderes anschauen?«
»Noch eins, fürchte ich. Eure Steuerbescheide der letzten paar Jahre, falls du sie hast.«
Nun ergab die große Summe im Schließfach einen Sinn. Wenn Newman alles bar bezahlt hatte, war es nicht nötig gewesen, das Geld auf sein Girokonto einzuzahlen. Für Dinge wie Miete, Müllabfuhr und die Telefonrechnung mußte er natürlich Schecks ausschreiben; deshalb hatte er Bargeld einzahlen müssen, um die Schecks zu decken. Das bedeutete auch, daß für das Geld, das Newman nicht auf sein Konto einzahlte, keine Unterlagen existierten, die bewiesen, daß er je Geld in dem Fach gehabt hatte. Und das wiederum bedeutete, daß das Finanzamt nie herausbekommen würde, daß Newman je ein solches Fach besessen hatte.
Er hatte seinen Lebensstil klugerweise beibehalten. Er war im gleichen Haus wohnen geblieben, fuhr keine Luxusschlitten und war auch nicht in den Kaufrausch verfallen, über den schon so mancher Dieb gestolpert war. Da er keine Miete zu zahlen brauchte und auch nichts mit Kreditkarten bezahlte, hatte er einen großen Bargeldverkehr. Wahrscheinlich war das die Erklärung dafür, daß Newman regelmäßig in Aktien investieren konnte. Irgend jemand würde wirklich tiefer graben müssen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Anne fand die Steuererklärungen der letzten sechs Jahre in dem metallenen Aktenschrank, der an der Wand stand. Sie waren so gut geordnet wie die anderen Unterlagen Ken Newmans. Ein rascher Blick auf die Bescheide der letzten drei Jahre bestätigten Brookes Verdacht. Das einzige aufgelistete Einkommen waren Newmans FBI-Gehalt, verschiedene Bank- und Investmentzinsen sowie Dividenden.
Sie legte die Akten zurück und zog ihren Mantel an. »Tut mir leid, Anne, daß ich mitten in deine Schwierigkeiten hereingeplatzt bin.«
»Ich habe dich doch um Hilfe gebeten, Brooke.«
Brooke empfand trotzdem einen Stich von Schuld. »Tja, ich weiß nicht, ob ich dir eine Hilfe war.«
Anne ergriff ihren Arm. »Kannst du mir jetzt sagen, was los ist? Hat Ken irgend etwas . Falsches gemacht?«
»Ich kann dir im Moment nur sagen, daß ich einige Dinge gefunden habe, die ich nicht erklären kann. Ich will dich nicht belügen, Anne. Sie sind sehr besorgniserregend.«
Anne zog langsam die Hand zurück. »Ich nehme an, du mußt deine Entdeckung melden.«
Brooke schaute Anne an. Technisch gesehen mußte sie nun auf direktem Weg zum OPR gehen und Meldung erstatten. Das OPR stand offiziell unter dem Dach des FBI, war aber eine Abteilung des Justizministeriums, die Vorwürfe über Fehlverhalten von FBI-Angehörigen untersuchte und die in dem Ruf stand, sehr gründlich zu sein. Eine OPR-Untersuchung ließ selbst den abgebrühtesten FBI-Agenten ins Zittern geraten.
Ja, rein technisch betrachtet, brauchte sie sich keine Gedanken mehr zu machen. Wenn das Leben nur so einfach gewesen wäre. Die verzweifelte Frau, die vor ihr stand, machte Brooke die Entscheidung unendlich schwer. Schließlich gab sie ihren Gefühlen nach und vergaß für einen Moment die Vorschriften. Ken Newman würde ein Heldenbegräbnis erhalten. Der Mann hatte über zwei Jahrzehnte für das FBI gearbeitet. Zumindest das hatte er verdient.
»Irgendwann werde ich meinen Fund melden müssen, ja.
Aber nicht jetzt.« Brooke hielt inne und nahm Annes Hand. »Ich weiß, wann die Beerdigung ist. Ich werde dasein, zusammen mit allen anderen, und Ken meinen Respekt erweisen.«
Brooke drückte Anne an sich; dann ging sie hinaus. Ihre Gedanken wirbelten so schnell, daß ihr beinahe schwindlig wurde.
Falls Ken Newman die Hand aufgehalten hatte, dann nicht erst seit ein paar Tagen. War er die undichte Stelle bei ihren Ermittlungen gewesen? Hatte er auch andere Untersuchungsergebnisse verraten? War Newman ein freiberuflicher Maulwurf gewesen, der sein Wissen an den Meistbietenden verkauft hatte? Oder hatte er das FBI im Auftrag einer Organisation unterwandert? Wenn ja - welche Organisation konnte an Faith Lockhart interessiert sein? Es ging auch um ausländische Interessen; das immerhin hatte Lockhart durchblicken lassen. War das der Schlüssel? Hatte Newman die ganze Zeit für eine ausländische Macht gearbeitet, für eine fremde Regierung, die zufälligerweise ebenfalls in Buchanans Intrige verwickelt war?
Brooke seufzte. Der Fall nahm allmählich solche Dimensionen an, daß sie am liebsten nach Hause gelaufen wäre, um sich die Bettdecke über den Kopf zu ziehen.
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