Die Verschworenen
hereinströmen, wird die Stimmung hektisch. Gelunda stellt mich zur Wasserstation, wo ich ein Glas nach dem anderen fülle. Das Mädchen neben mir mischt Kalzium-, Magnesium- und Vitamingetränke und wirft mir gelegentlich neugierige Blicke zu, aber sie ist die Einzige, die mich beachtet. Die Sphärenbewohner, die zum Essen kommen, sehen durch mich hindurch.
Irgendwann verliere ich jegliches Zeitgefühl. Ich weiß, dass mein Schlafmangel mich mittlerweile in einen Zustand versetzt hat, als wäre ich schwer betrunken, ich weiß außerdem, dass ich durchhalten muss, aber ich habe keine Ahnung, wie lange noch. Ich fülle ein Glas und stelle es ab, fülle das nächste und stelle es ab, fülle das nächste …
»Was ist denn mit dir los?« Gelundas Stimme kommt von weit her. »Bist du krank oder so?«
»Nein, ich … habe die letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen. Während der Reise. Ich bin sehr müde.«
»Meine Güte!« Sie klingt verärgert. »Und deshalb machst du weiterhin Gläser voll, obwohl fast niemand mehr hier ist? Wir haben längst mit dem Aufräumen begonnen.«
Ich hebe den Blick. Tatsächlich. Einige der Kantinenarbeiterinnen wischen schon den Boden, wobei sie sorgsam die Bereiche vermeiden, wo noch Gäste sitzen. Gerade stehen wieder zwei von ihnen auf und gehen auf den Ausgang zu und dort steht …
Mein Mund formt den Namen, zum Glück ohne Ton. Aureljo.
Er trägt den violetten Overall der Kuppelreiniger und gibt sich sichtlich Mühe, nicht so auszusehen, als würde er auf jemanden warten.
»Dann geh eben«, sagt Gelunda. »Leg dich schlafen, so bist du zu nichts zu gebrauchen. Wenn es morgen nicht besser läuft, lasse ich dich neu zuteilen, klar?«
»Klar.«
Ich gehe aus der Kantine, an Aureljo vorbei. Niemand hier muss wissen, dass wir uns kennen. Er wird mir in einem vernünftigen Abstand folgen, da bin ich mir sicher.
Raus aus Kuppel 9. Weiter durch 7b. Neben der Treppe zur Pilzzuchtstation stehen vier Bänke, vermutlich für die Arbeiter gedacht, damit sie zwischendurch hier oben Pause machen und Licht tanken können. Eine davon steht im Halbschatten, dort setze ich mich hin. Zwei Minuten später ist Aureljo bei mir.
»Wie geht es dir?« Er nimmt meine Hand und ich würde mich gern gegen seinen Körper sinken lassen und einschlafen.
Nicht mehr lange. Nur noch ein wenig zusammennehmen – das hier ist wichtig.
»Todmüde. Sonst bin ich in Ordnung.«
»Ich bin so froh, dass alles gut gegangen ist. Welche Aufgaben haben sie dir übertragen?«
»Kantine und Bringdienst. Hast du herausgefunden, wie es bei Dantorian gelaufen ist?«
»Gut. Er ist den Agrarkuppeln zugeteilt worden und sehr erleichtert darüber. Ria, weißt du eigentlich, wie nah wir unserem Ziel gekommen sind? Du und ich, wir sind beide in Abteilungen, die uns Bewegungsfreiheit in der gesamten Sphäre gestatten. Wir dürfen nur nichts überstürzen, aber wenn wir uns geschickt anstellen, stehen uns alle Möglichkeiten offen. Es gibt sogar Datenterminals in den Aufenthaltsräumen der Arbeiter.«
»Garantiert mit eingeschränktem Informationsfluss.«
Er drückt mich an sich. »Natürlich. Aber die Sperren lassen sich umgehen. Zu dumm, dass Tycho nicht hier ist, der hätte das sicher schneller geschafft.«
Tycho. Ich wünschte, ich könnte Kontakt zu ihm aufnehmen. Ob Curvelli bereits bei den Dornen angekommen ist? Ob sie sich schon getroffen haben?
»Ria, du schläfst ja! Komm, ich bringe dich zu deinem Quartier.«
Unwillig schüttle ich den Kopf. »Zu auffällig.«
»Schaffst du es alleine?«
»Sicher.«
Es ist ihm nicht recht, er will sich um mich kümmern, so wie immer. Ich reiße mich am Riemen, versuche meine Stimme munterer klingen zu lassen, um es ihm leichter zu machen.
»Mein Quartier ist nicht weit entfernt. Kuppel 5a. Wo bist du untergebracht?«
»10a. Ein Raum für zwölf Personen, in dem höchstens fünf gleichzeitig stehen können. Ich hätte nicht gedacht –«
Er unterbricht sich, aber ich weiß, was er meint.
Dass die Arbeiter in den Sphären unter so unbequemen Bedingungen leben, damit haben wir uns nie auseinandergesetzt.
Ich finde 5a, Raum 79 und das mittlere Bett rechts nur, weil ich meine letzte Energie und Konzentration zusammenkratze und mir weismache, dass jeder Schritt, den ich vorwärtsgehe, der letzte ist. Nur dieser noch. Dieser eine.
Diesmal mache ich mir nicht die Mühe, meine Kratzer zu verstecken, sondern schlüpfe aus der Arbeits- in die Schlafkleidung, klettere in meine
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