Die Verschworenen
Basistraining in Signaldeutung, sie sollten erkennen können, wenn jemand lügt oder etwas verbergen will. Das bedeutet, ich muss mich vorsehen.
Sindra Holun ist also gelangweilt. Langeweile ist die ideale Emotion, wenn man nicht auffalllen will. Der Weg nach 3a ist mühevoll, und sie wünscht sich, jemand anders hätte den Auftrag bekommen. Noch dazu mit einem so schweren Tablett.
Ich finde Raum 14 auf der zweiten Ebene der Kuppel; es ist ein Quartierraum, der direkt an die Sentinel-Zentrale angrenzt. Mit dem Ellenbogen lehne ich mich gegen den Knopf der Sprechanlage. »Bringdienst ist hier.«
Fünf Sekunden, dann schnappt die Tür auf. Das Tablett auf gekonnte Weise hereinzubalancieren, erfordert einen beträchtlichen Teil meiner Konzentration, deshalb erfasse ich die Situation im Raum erst auf den zweiten Blick.
Zwei Sentinel, die an einem kleinen Tisch sitzen, ein dritter, der steht und auf die Anrichte deutet, mir zeigt, wo ich das Tablett abstellen soll.
Sie alle tragen keine Farbabzeichen. Exekutoren also. Geheimdienst.
Ich senke sofort den Kopf und tue, als müsste ich auf die Bodenbeschaffenheit achten, um nicht auszurutschen. Mein Magen krampft sich zusammen und ich umklammere das Tablett so fest, dass zwar meine Hände nicht zittern, dafür aber die Flüssigkeit in den Gläsern.
Sie sind zu dritt. Wenn mich nur einer von ihnen erkennt, ist es vorbei.
»Hierhin stellen. Meine Güte, Mädchen, sieh doch hin, wenn ich dir etwas zeige.«
Ich blicke hoch, ohne zu zögern, und vertraue darauf, dass sie mit meinem Gesicht nicht ausreichend vertraut sind, um es unter den gegebenen Umständen zu identifizieren. Dumm darf ich mich anstellen, das wird keiner der Sentinel merkwürdig finden. Ängstlichkeit schon eher.
Er will die Sachen jetzt also doch auf dem Tisch haben. Seine beiden Kollegen sind gerade dabei, ihre Unterlagen wegzuräumen, und ich erhasche einen Blick auf ein rotes Dossier mit dem Titel S NMN . Quer über der Tischplatte liegt eine der Sphärenkarten aus Kunststoff, die sich hauchdünn zusammenrollen lassen, da sind Markierungen …
Ich sehe das nur aus den Augenwinkeln, keinesfalls darf ich den Kopf drehen und genauer hinschauen. Niemand vom Bringdienst würde das tun. S NMN. Ich wünschte, ich wüsste, wofür das steht.
Das Tablett landet eine Spur zu unsanft auf dem Tisch, aus einem der Gläser schwappt Flüssigkeit.
»Wie ungeschickt von mir, das tut mir sehr leid«, flüstere ich und ziehe ein Tuch aus meiner Hosentasche, um die verschütteten Tropfen wegzuwischen.
»Schon gut.« Der silberhaarige Sentinel, für den das betreffende Glas offenbar gedacht ist, lächelt mir aufmunternd zu. »Es ist ja nichts passiert.«
Ich senke wieder den Kopf, diesmal kann das als Zeichen von Scham durchgehen. »Danke.« Innerlich verfluche ich mich. Das Gesicht des Mädchens vom Bringdienst ist zumindest bei diesem einen Sentinel eine Schicht zu tief ins Bewusstsein eingedrungen. Er hat mich als Person wahrgenommen, nicht als Trägerin einer Funktion. Das bedeutet, dass er das nächste Mal, wenn er ein Fahndungsfoto von mir oder etwas Vergleichbares vor Augen hat, zumindest stutzen wird. Er wird sich überlegen, woher er diese Eleria kennt, nach der immer noch gesucht wird. Wenn sein optisches Gedächtnis gut trainiert ist, wird er Methoden kennen, um seinem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge zu helfen. Eingrenzungsverfahren, Ausschlussverfahren. Mir wird übel. Die anderen beiden ignorieren mich. Sie fahren mit ihrem Gespräch fort, während der Silberhaarige mir beruhigend zunickt.
»… scheint mir fast zu offensichtlich, aber so weit im Norden fällt die Magnetbahn häufiger aus.«
»Richtig. Umso dringender müssen wir jetzt …«
Tür öffnen. Hinter mir wieder schließen. Das trockene Geräusch, mit dem sie ins Schloss fällt, hört sich eigenartig laut an.
Alles in Ordnung, beruhige ich mich. Geh einfach zurück in die Kantine. Nimm es als ein gutes Zeichen, dass sie dich alle gesehen und dabei nicht mit der Wimper gezuckt haben. Die fünf Verräter-Studenten haben auf der Liste der Exekutoren nicht mehr oberste Priorität. Ein Ausfall der Magnetbahn ist derzeit wichtiger, wenn das keine gute Nachricht ist. Wahrscheinlich halten sie uns längst für tot, womit sie zum Teil ja auch recht haben.
Den Mittagsdienst überstehe ich diesmal hochkonzentriert, ich bin für die Ausgabe der Gemüsebeilagen zuständig und will keinen Fehler machen, gleichzeitig kann ich mich aber nicht
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