Die Verschworenen
beunruhigt vor allem Dantorian.
»Vielleicht hat uns jemand verraten und jetzt sind die Exekutoren uns wieder auf den Fersen.« Er sitzt auf dem Boden, die Arme um die angezogenen Knie gelegt, und schaukelt hin und her. »Gut möglich, dass der Fürst sich auf einen Handel mit den Sphären eingelassen hat. Warum auch nicht? Früher oder später war das zu erwarten.« Er sieht uns an, sucht nach Zustimmung in unseren Gesichtern. »Oder sein Stellvertreter, der mit dem langen, dunklen Haar. Ist euch nicht aufgefallen, mit welcher Abneigung er uns jedes Mal ansieht, wenn er uns über den Weg läuft?«
Jahrelanges Training verhindert, dass sich in meinem Gesicht auch nur ein Muskel rührt. »Nein, das finde ich nicht. Er hat uns immer unterstützt.«
»Ja, zum Schein.«
Aureljo schüttelt entschieden den Kopf. »Ich denke, du irrst dich, Dan. Erinnere dich, wie Sandor für uns eingetreten ist, als der Clan uns an die Sentinel ausliefern wollte. Er ist auf unserer Seite, ebenso wie Quirin und Fürst Vilem. Sonst weiß niemand, dass wir hier sind. Außer Lennis, seit Kurzem. Aber er hatte noch nicht genug Zeit, uns zu verraten.«
Tycho, der bisher schweigend zugehört hat, springt auf und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. »Ich sehe es so wie Ria und Aureljo. Soll heißen, ich vertraue den dreien. Und jetzt muss ich raus hier, ich kriege sonst Beklemmungen.«
Ich weiß, dass Tycho schnell ist, deshalb beeile ich mich, bin mit einem Sprung bei der Tür und versperre ihm den Weg. »Keine Extratouren mehr. Du musst unter der Erde bleiben. Andris hat dich gestern draußen gesehen, zum Glück war er sich nicht sicher.«
Ein Hauch von Trotz lässt Tycho die Lippen aufeinanderpressen. »Erstens: Er kann mich nicht gesehen haben, denn ich war nur ganz kurz oben und weit und breit war niemand. Zweitens: Du gehst selbst gelegentlich an der frischen Luft spazieren, wenn du denkst, niemand merkt es. Und drittens: Ich bin kein Idiot. Natürlich bleibe ich heute unten.«
Er schlüpft an mir vorbei und ist wenige Sekunden später in der Dunkelheit verschwunden. Ich tue so, als würde ich ihm nachsehen, während ich in Wahrheit meine nächsten Schritte überlege.
Ich muss mit Aureljo sprechen. Was zwischen Sandor und mir passiert ist, oder beinahe passiert wäre, betrifft auch ihn. Offenheit ist das oberste Prinzip, das man uns beigebracht hat, wenn es um Beziehungen geht. Es kam in den Sphären nicht selten vor, dass jemand mehrere Liebesverhältnisse gleichzeitig führte – aber dann wussten immer alle Beteiligten Bescheid. Heimlichtuerei wäre verpönt und auch völlig unnötig. Nur die wenigsten Paare blieben mehr als fünf oder sechs Jahre zusammen. Warum sollten sie auch, wenn es zwischen ihnen schwierig wurde? Gemeinsam Kinder zu zeugen, stand nicht auf dem Programm, sie aufzuziehen schon gar nicht. Es brauchte auch keiner beim anderen zu bleiben, um versorgt zu sein, denn das erledigte ohnehin die Sphäre. Aber klare Verhältnisse zu schaffen, war wichtig für das Zusammenleben der ganzen Gruppe und es war ein Konzept, das sich fast ausnahmslos bewährte.
Was nicht bedeutete, einfach draufloszuplappern.
Das werde auch ich nicht tun, sondern einen guten Moment abwarten. Dafür sorgen, dass wir allein sind und Zeit haben.
Wenn ich ganz ehrlich bin, will ich vor allem verhindern, dass Aureljo meine Entscheidung zum Anlass nimmt, früher als unbedingt nötig nach Vienna 2 aufzubrechen. Im Moment kann ich noch unsere Beziehung in die Waagschale werfen, um ihn von seinem Plan abzubringen – das wäre dann vorbei.
Ich schiebe den Gedanken beiseite. Statt über private Dinge nachzudenken, sollte ich Aureljo besser die Chronik-Seite zeigen, die ich gefunden habe. Mein neues Versteck für Jordans Aufzeichnungen ist der kleine Hohlraum zwischen zwei lockeren Ziegeln; dort hole ich die Buchseiten jetzt hervor.
»Jordan schreibt, er sei geflohen, um die Außenbewohner zu schützen. Der Clan, bei dem er Unterschlupf fand, hieß aber nicht Schwarzdorn, sondern Totenwächter. Könnt ihr euch darauf einen Reim machen?«
Aureljo und Dantorian verbringen die nächsten Stunden damit, Theorien aufzustellen. Sie widmen sich dem Text mit der gleichen Aufmerksamkeit, die wir früher unseren Akademieaufgaben geschenkt haben, aber aus den wenigen Angaben, die Jordan macht, lässt sich nichts Endgültiges ableiten.
»Für mich klingt es so, als hätten sie Angriffspläne gestohlen und dem Clan damit das Leben gerettet«, meint
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