Die Verschworenen
zurück, dorthin, wo ein hüfthoher Durchbruch in das Labyrinth unter der Stadt führt.
Ich gehe nicht ohne dich. Komm mit . Keinesfalls werde ich zulassen, dass Sandor sich den umherstreifenden Scharten oder Nachtläufern alleine stellt.
Einzuschätzen, aus wie vielen Personen eine Gruppe besteht, die man nicht sehen kann, ist keine leichte Übung, aber ich versuche es trotzdem. Drei verschiedene Stimmen kann ich bisher auseinanderhalten. Eine davon ist zu meiner Überraschung weiblich. Jetzt kommen Schritte näher. Eine vierte Stimme ruft etwas aus weiter Entfernung. Es klingt wie »frische Spuren«.
Kann also sein, dass die Fremden auf der Jagd sind, fragt sich nur, was sie jagen. Oder wen.
Komm , bedeute ich Sandor. Oder ich komme zu dir .
Er schüttelt den Kopf. Warte .
Alles, was ich im Moment tun könnte – versuchen, ihn wegzuzerren, beispielsweise –, würde uns nur in Gefahr bringen, also bleibt mir nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie Sandor langsam und geduckt die Treppenstufen hochschleicht. Nur so weit, dass er seinen Kopf ein kleines Stück hinausstrecken und sich umsehen kann. Es dauert keine fünf Sekunden, bis ich ihn wieder abtauchen und die Luke von unten verriegeln sehe. Jetzt dringen keine Geräusche mehr zu uns, nicht einmal das Pfeifen des Windes.
Erst als wir den Keller verlassen haben und uns auf den Rückweg durch einen der mehrstöckigen Tunnel machen (Kanäle, früher waren das Kanäle, hat Fiore mir letztens erklärt), ist Sandor bereit, kurz stehen zu bleiben und mich ins Bild zu setzen.
»Sieben konnte ich zählen, aber nach Norden hin war mir die Sicht durch eine Ruinenwand versperrt. Vermutlich waren es also mehr. Nachtläufer hauptsächlich. Aber auch zwei Scharten.«
Dass die verfeindeten Clans sich auf diese Weise mischen, höre ich zum ersten Mal. »Woran erkennt man Nachtläufer?«
Sandor vollführt mit der rechten Hand eine kreisende Bewegung um seinen Kopf. »Sie wickeln sich Tücher ums Gesicht, man sieht nur die Augen. Außerdem sind sie fast immer dunkel gekleidet, was in einer schneebedeckten Umgebung mehr als riskant ist. Außer natürlich, man jagt bei Nacht.«
Er will weiter, aber ich halte ihn am Ärmel fest. Was gerade zwischen uns passiert ist, beschäftigt mich noch weitaus mehr als die feindlichen Clans mitten auf Dornenterritorium.
In Sandors Augen sehe ich hauptsächlich Eile. »Ich muss Vilem informieren. So schnell wie möglich.« Er hebt die Hand, legt sie an mein Gesicht und streicht mit dem Daumen leicht über meine Lippen. »Du wirst in Sicherheit sein. Geh nicht mehr nach draußen, hörst du? Vielleicht seid ihr es, nach denen sie suchen, wer weiß. Jedenfalls ist es das erste Mal, dass Scharten so weit ins Innere unseres Gebiets vordringen. Von Nachtläufern ganz zu schweigen.«
Er nimmt mich an der Hand und zieht mich hinter sich her.
Den Rest der Strecke legen wir im Laufschritt zurück, soweit es die Bodenbeschaffenheit und die Höhe des jeweiligen Gangs zulassen. Erst kurz bevor wir in den Gang einbiegen, der zu meiner Unterkunft führt, lässt Sandor mich los.
»Sag es den anderen. Sie müssen vorsichtig sein, rede vor allem diesem Tycho ins Gewissen. Er ist überall und nirgends; vor ein paar Tagen hat Andris mir erzählt, dass er dachte, ihn gesehen zu haben.« Er packt mich an den Schultern, ein wenig zu fest, lockert seinen Griff aber sofort wieder, als er mich das Gesicht verziehen sieht. Das, was ihm offensichtlich auf der Zunge liegt, spricht er nicht aus, aber ich verstehe es auch so.
»Ja«, sage ich. »Wir haben Zeit. Kümmere dich um den Clan, sieh zu, dass deine Leute sicher sind.«
Er lacht. »Du bist wirklich gut, Ria aus der Sphäre. Du bist …« Er findet nicht das Wort, das er sucht, aber die Wärme in seinen Augen genügt mir. Ich lasse mich gegen ihn sinken und er hält mich, wieder ein wenig zu fest, aber so spüre ich wenigstens ohne jeden Zweifel, dass es ihn gibt. Dass es uns gibt.
»Bis bald«, murmle ich, als er mich loslässt, und lege eine winzige Frage in diese beiden Worte.
»Bis bald«, bekräftigt Sandor, dann dreht er sich um und beginnt wieder zu laufen, doch ehe er aus meinem Blickfeld verschwindet, bleibt er noch einmal stehen. Das Zeichen, das er mit seiner rechten Hand formt, kenne ich nicht, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, es hat etwas mit Festhalten zu tun, also nicke ich.
14
Mein Bericht über die kleine Invasion, die gerade an der Oberfläche vor sich geht,
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