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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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müsste.
    »Gibt es Tote?«, frage ich stattdessen.
    Fiore zuckt mit den Schultern. »Die gibt es immer, was denkst du denn? Sie bewerfen sich nicht mit Schneebällen da oben.«
    Sie blinzelt und ich sehe die Erschöpfung in ihrem Gesicht. Außerdem einen Kratzer an ihrem Hals, der unter der Kleidung wahrscheinlich bis zum Schlüsselbein reicht. Rundherum getrocknetes Blut. Auch an ihren Händen, unter ihren Fingernägeln, finden sich rostbraune Spuren. Sie war mitten im Kampfgeschehen, aber jemand hat sie weggeschickt, ihr eine weniger gefährliche Aufgabe zugeteilt. Vielleicht war es Quirin selbst.
    »Wir könnten das Tor gemeinsam bewachen, wenn du willst«, schlage ich vor. »Ich bin ausgeruht, ich kann Augen und Ohren offen halten. Falls du eine Pause brauchst.«
    Ich erwarte, dass sie mein Angebot zurückweisen und mir zu verstehen geben wird, dass meine Anwesenheit nur eine zusätzliche Belastung für sie ist.
    Tatsächlich lacht sie kurz auf, aber sie sagt nicht Nein. »Meinetwegen, Liebling. Sing mir etwas vor, damit ich wach bleibe.«
    Unser Platz vor der Tür ist eine helle Insel inmitten der Dunkelheit. Aureljo und Dantorian sind gegangen, nicht ganz freiwillig, aber Fiore hat ihnen unmissverständlich klargemacht, dass sie sie nicht hier haben will.
    »Es ist mir egal, ob Quirin eure Idee, sich in Vienna 2 einzunisten, gut findet. In meinen Augen ist es einfach nur bescheuert. Wenn sie euch in die Finger kriegen, quetschen sie alles aus euch heraus, was ihr über uns Schwarzdornen wisst und über die Stadt unter der Stadt. Dann sind wir dran, und sei es nur, weil wir euch geholfen haben.«
    Ein paar Minuten lang gaben Aureljo und Dantorian sich Mühe, ihr zu widersprechen, aber sie hätten ebenso gut auf einen Stein einreden können.
    »Ich komme in einer Stunde und hole dich.« Aureljo wirkte niedergeschlagen, als er ging, und ich weiß, warum. Er teilt Fiores Sorgen nicht und würde sie gerne zerstreuen, doch das lässt sie nicht zu. Die Situation verlassen zu müssen, ohne sie bereinigt zu haben, das drückt ihm aufs Gemüt.
    »Na, was ist? Ich dachte, du singst mir etwas vor.« Fiore lächelt spöttisch und müde zugleich.
    »Wenn ich singe, locke ich die Wölfe an.« Beinahe bin ich überrascht, dass mein Scherz auf fruchtbaren Boden fällt. Fiore lacht auf.
    »Ist bei mir ähnlich.« Sie zieht ein Messer aus dem Gürtel und beginnt, es an einem aus der Mauer hervorspringenden Stein zu schärfen. »Nur den Kindern singe ich manchmal etwas vor. Die lachen sich kaputt, das mag ich, besonders bei denen, die sonst nie lachen.«
    Ich muss an den Clanjungen denken, mit dem ich vor einiger Zeit Stoffreste aneinandergenäht habe. Ihm fehlte ein Finger. Folgen eines Wolfsbisses. Ich frage mich, wo er jetzt wohl steckt, während die Scharten angreifen.
    »Es ist sicher schwer, in der Wildnis aufzuwachsen«, sage ich. Fiore wendet mir ruckartig den Kopf zu.
    »Schwer, jaja. Das hast du hübsch umschrieben.«
    »Entschuldige. Ich wollte nicht –«
    »Das Schwierigste«, unterbricht sie mich, »ist, die Kleinen zu beschützen. Du kannst dir nicht vorstellen …« Ihr Blick wird weicher, um sich unmittelbar darauf wieder zu verhärten. »Fast jeder hier hat zumindest ein Kind verloren. Vilem, Andris, meine Familie … Unter der Stadt wäre es am sichersten, aber man kann sie ja nicht im Dunkeln großziehen.« Mit ihrer sehnigen Hand rückt sie die Lampe zurecht. »Und an der Oberfläche gibt es nun mal Wölfe, Bären, Frost und Lieblinge.«
    Darauf werde ich nicht eingehen, auch wenn ich ihrem schrägen Blick entnehme, dass sie auf Widerspruch von mir hofft.
    »Du hältst nichts von Aureljos Plänen, oder?«, wechsle ich nach einer kurzen Pause das Thema.
    »Nein. Es ist verrückter, gefährlicher Irrsinn.«
    »In dem Punkt sind wir einer Meinung. Ich wünschte, er würde es sich anders überlegen.«
    Sie nickt. »Dann gib dir Mühe. Bring ihn davon ab. Ich habe Sandor schon vorgeschlagen, ihn und den Zeichner einzusperren, aber dummerweise haben sie Quirin auf ihrer Seite. Und Vilem. Ich begreife es einfach nicht.« Mit der flachen Klingenseite ihres Messers schlägt sie gegen die Mauer. »Sie sind schon ziemlich weit mit ihren Vorbereitungen, weißt du das überhaupt? Kann sein, dass sie in zehn Tagen aufbrechen, dann wären sie nämlich pünktlich zum Arbeiterwechsel in Vienna 2.«
    An den Arbeiterwechsel erinnere ich mich, auch wenn ich nie direkt damit zu tun hatte. An drei Terminen im Jahr können

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