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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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mir zu verstecken, zu warten, bis die Feindclans abgezogen sind. Alles zu tun, was verhindert, dass auch er irgendwann mit aufgeschlitzter Brust oder halb abgetrennten Armen sein Blut auf den Marmorboden der Halle vergießt.
    »In Ordnung. Liebling.« Er lässt meine Hände los, streicht mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr. »Sei vorsichtig, ja? Bleib unter der Stadt, bis sich alles beruhigt hat. Ein paar Tage, dann ziehen sich die fremden Clans wieder in ihre Höhlen zurück, du wirst sehen.«
    Er zwinkert mir zu, dann geht er. Dreht sich nach fünf Schritten noch einmal um und bildet mit der rechten Hand das Zeichen für Wildschwein. Das erste, das er mich je gelehrt hat.

15
    Tycho sitzt vor mir, Aureljo neben mir, Dantorian tigert an den Wänden entlang, während ich berichte, was passiert ist. Ich halte mich kurz und verzichte auf Details. Gleichzeitig konzentriere ich mich darauf, nicht von Aureljo abzurücken, dessen Hand auf meinem Knie liegt. Auch unsere Schultern berühren sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie schon so oft. Warum ich das plötzlich kaum noch ertrage, kann ich nicht sagen.
    »Ich hoffe wirklich, dass Vilem überlebt«, platzt Tycho heraus. »Er und Quirin sind ein bisschen wie Mentoren, findet ihr nicht? Ihnen traue ich nicht zu, dass sie plötzlich ihre Meinung ändern und uns an die Sphären verraten.« Er knetet seine Finger. »Aber wenn Vilem stirbt …«
    »Dann wird Sandor Clanfürst.« Nein, man hört es mir nicht an. Ich kann seinen Namen völlig neutral aussprechen. »Bei ihm sind wir genauso sicher. Hast du einen Grund, daran zu zweifeln?«
    Tycho wiegt den Kopf, unschlüssig. »Keinen konkreten. Aber überleg doch mal, er wird es am Anfang nicht leicht haben. Er ist ziemlich jung und es gibt eine Menge älterer Männer im Clan, die vielleicht selbst gern Fürst wären. Da wird er alle Hände voll zu tun haben, sich zu behaupten, und sich nicht auch noch den Kopf über uns zerbrechen wollen.«
    Ein kluger Gedanke. Ich kann Tycho nicht widersprechen, vor allem nicht, wenn ich an Yanns Äußerungen denke. Ob Than oder nicht, Sandor wird seine ganze Kraft brauchen, um seine Position zu festigen. Es wäre gut, wenn er mehr Zeit hätte, sich darauf vorzubereiten. Vielleicht kann ich ihm ja doch helfen, indem ich ihm beibringe, was Grauko mich gelehrt hat. Mit welchen Mitteln man die Menge für sich gewinnt, wie man mit ihr spielt und sie alles glauben macht, was man sagt.
    Leider kann ich mir nicht vorstellen, dass Sandor sich dafür begeistern lässt, obwohl ich überzeugt bin, dass er sehr begabt ist.
    »Ich hoffe auch, dass Vilem durchkommt«, murmle ich. »Er hätte es verdient.«
    Es wird eine der unruhigsten Nächte, die ich seit unserer Flucht aus der Magnetbahn durchlebt habe. Ich liege unbequem und mir ist kalt, aber ich meide Aureljos Umarmung, weil ich mich darin nicht mehr wie ich selbst fühle. Ich weiß, dass ich mit ihm reden muss, und nutze die Schlaflosigkeit, um mir Worte zurechtzulegen, Sätze zu drechseln, die ihn so wenig wie möglich verletzen. Es gelingt mir nicht, ich scheitere auf ganzer Linie. Irgendwann liege ich nur noch da, lausche den Atemgeräuschen der drei Menschen, mit denen ich meine Unterkunft teile, und gehe in Gedanken an der Oberfläche spazieren. Frage mich, wie es Vilem geht. Wo Sandor jetzt ist und was er tut. Ob er schläft.
    In den Sphären haben wir psychologische Übungen gemacht, die Motivanalysen genannt wurden. Wir nahmen uns eins unserer Ziele oder eine unserer Ängste vor und versuchten herauszufinden, was wirklich dahintersteckt. Diese Methode wende ich nun auf meine Gefühle für Sandor an. Was ist passiert, dass ich plötzlich bereit bin, meine Beziehung mit Aureljo zu beenden und mich in die Arme eines – ich zögere erst, dann denke ich das Wort in aller Deutlichkeit – eines Prims zu werfen? Mit dem ich nichts gemeinsam habe? Der gerade mal lesen kann, aber sonst völlig ungebildet ist? Der Kinder durch Dornenhecken schickt? Der sein Leben damit verbringen wird, einen Haufen Wilder im Zaum zu halten, und der in seiner Wohnstatt getrockneten Ziegendung verbrennt, um nicht zu frieren?
    Es hilft nichts. Ich kann mir Sandor nicht madigmachen, trotz aller Bemühungen. Also wühle ich mich tiefer in mein Gefühlschaos. Haben meine Gefühle mit der ungewöhnlichen Situation zu tun? Menschen in Not neigen dazu, sich zu Partnern hingezogen zu fühlen, die ihnen einen Überlebensvorteil verschaffen können. Das passiert

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