Die Verschworenen
Merio dann noch nicht hier?« Aus Quirins Stimme ist jede Freundlichkeit verschwunden. »Aber du stehst herum und machst dumme Witze? Los, Andris, Robko, Yann, ihr bringt ihn zu mir. Und alle anderen, um die es schlecht steht. Sandor, du bleibst.«
Leises Murren, Gelächter, polternde Schritte. Yann kann sich eine letzte Bemerkung nicht verkneifen.
»Passt auf, dass Sandor nicht einen günstigen Moment erwischt, um Vilem den Rest zu geben.«
Dann sind sie fort.
Ich warte, bis Quirin mich aus meinem Versteck winkt. »Du gehst jetzt auch. Schnell, und nimm die kleine Treppe da hinten, dort wird dir niemand entgegenkommen.«
»Gut. Danke.« Ich bleibe kurz bei Vilem stehen und betrachte seinen verbundenen Brustkorb. Sein fahles Gesicht mit dem grob abgeschnittenen Bart. Überlege fieberhaft, unter welchem Vorwand ich ein paar Momente mit Sandor allein verbringen könnte. Die Ereignisse von heute Morgen haben ein merkwürdig schales Gefühl der Ungewissheit in mir zurückgelassen. Ich weiß, dass das lächerlich ist, wenn man die schwere Krise betrachtet, in die der Clan gerade zu stürzen droht. Aber ich kann es nicht ändern, das Gefühl betäubt meine Vernunft. Wie Alkohol.
Eine Schwäche, die du dir nicht leisten kannst. Die deiner nicht würdig ist. Das würde Grauko sagen, wenn er wüsste, wie es um mich bestellt ist. Wäre er hier, hätte er mir meinen innerlichen Kampf längst von den Augen abgelesen.
Offenbar gelingt das auch Quirin, jedenfalls merkt er, dass etwas nicht stimmt. »Ria? Beeil dich bitte.« Sein Blick unter den prüfend zusammengezogenen Augenbrauen lässt mich nicht los.
»Ja. Natürlich.«
»Ich begleite sie ein Stück.« Sandor nimmt mich am Ellenbogen und ich muss tatsächlich all meine Beherrschung aufwenden, um mich nicht an ihn zu schmiegen.
So war ich nie. So will ich nicht sein. Schon gar nicht bei jemandem, den ich erst so kurz kenne und der schwieriger zu lesen ist als die meisten anderen Menschen.
»Ria findet den Weg auch ohne dich.« Quirins Augen sind schmal geworden, er beginnt zu begreifen und es besteht kein Zweifel daran, dass ihm nicht gefällt, was er sieht.
»Ich bin sofort wieder da. Nur zwei Minuten, dann erstatte ich dir Bericht.« Sandor wartet Quirins Reaktion nicht ab, sondern zieht mich fort, auf die hintere Treppe zu.
»Du musst besser auf dich aufpassen«, murmelt er. »Wieso bist du nach oben gekommen, obwohl du wusstest, dass gekämpft wird?«
»Ich war bei Fiore und sie wurde zu Hilfe geholt. Da bin ich mitgegangen. Ich dachte, meine Kenntnisse könnten vielleicht nützlich sein. War ein Irrtum.«
Er bleibt stehen, dreht mich zu sich. »Quirin kann euch nur beschützen, solange niemand weiß, dass ihr hier seid. Was, wenn Andris der Verletzte gewesen wäre? Oder Yann?«
Ich halte seinem Blick stand. »Was, wenn du es gewesen wärst?«
Ich habe ihm den wahren Grund genannt und das begreift er. Zieht mich an sich, kurz und sehr fest. Dann tritt er einen Schritt zurück und packt mich an den Schultern. »Tu das nie wieder. Ich weiß, dass du schlau bist, nur wird dir das nichts helfen, wenn du den falschen Leuten in die Arme läufst.« Sein Griff verstärkt sich, als wollte er mich schütteln. »Bleib so unsichtbar wie möglich, dann kann ich dich schützen. Und das werde ich, verstehst du? Außer, du machst es mir unmöglich, und das könnte ich dir nicht verzeihen.«
Ich nicke, stumm. Etwas in mir ist glücklich und möchte lachen. Nicht wegen Sandors Worten, sondern wegen all dem, was ich in seinen Augen sehe. Wegen seiner Unterlippe, die zittert, ganz leicht, ich kann es nur mit Mühe erahnen. Gehen zu müssen, ist das Letzte, was ich will, aber ich werde es ihm jetzt nicht schwer machen. Meine Emotionskontrolle war immer gut und ich weiß noch genau, wie man Gelassenheit nicht nur vortäuscht, sondern auch empfindet, wenn es nötig ist. Wie man den inneren Sturm zum Erliegen bringt, für eine gewisse Zeit.
»Geh zurück.« Ich nehme seine Hände von meinen Schultern und halte sie für ein paar Sekunden in meinen. »Quirin wartet und bald werden Andris und Yann wieder da sein. Ich hoffe, es gibt keine Angriffe mehr heute Nacht.«
Sandor lacht auf. »Das würde mich wundern.« Er beugt sich zu mir, seine Lippen berühren meine, öffnen sich leicht …
Ich mache einen Schritt zurück. »Nein. Geh zu Quirin.«
Wenn ich zulasse, dass er mich küsst, ist es mit meiner Haltung vorbei. Dann werde ich mich an ihn klammern und ihn anflehen, sich mit
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