Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
mir Hand- und Fußfesseln an, schloss beide um eine Stange in der Mitte und gab dem Fahrer ein Zeichen, den Bus zu starten.
    Während wir in Richtung Westen zum Expressway fuhren, wurde mir von den Dieselabgasen wieder schlecht. Eine schwangere Frau zwei Sitze links vor mir bat den Fahrer in stockendem Englisch anzuhalten. Doch niemand schenkte ihr Beachtung. Sie übergab sich und versuchte dabei, die gefesselte Hand vor den Mund zu halten.
    »Können Sie bitte anhalten?« rief ich, so gut es mit meinen geschwollenen Lippen ging. »Einer Frau hier ist schlecht.«
    Keine Reaktion.
    Ich rief noch einmal. Ein paar der Frauen stampften mit den Füßen. Ein Wachmann brüllte über den Lautsprecher, dass sie den Bus anhalten und uns zwingen würden, eine Stunde am Straßenrand zu stehen, wenn wir weiter solchen Krach machten. Alle, auch ich, wurden ruhig - ich wollte nicht schuld daran sein, dass wir eine Stunde lang in der gleißenden Mittagssonne stehen mussten.
    »Verdammte Arschlöcher«, murmelte die Frau neben mir, als der Bus sich in die Warteschlange vor der Mautstraße einreihte. »Zuerst lassen sie dich nicht aufs Klo, und dann ruckelt das hier so, dass man sich in die Hose macht.«
    Sie sagte das nicht zu mir, also erwiderte ich auch nichts. Sie hatte ununterbrochen geflucht, seit wir gefesselt worden waren. Nach einer Weile begann sich in ihren Mundwinkeln Speichel zu sammeln, aber sie hörte immer noch nicht auf zu fluchen.
    Mittags machten wir an der Stelle Rast, an der Mr. Contreras und ich zwei Wochen zuvor mit den Hunden gepicknickt hatten. Man löste jeweils zweien von uns die Fesseln und führte uns in die Toilette, die in der Zeit für die Öffentlichkeit gesperrt war. Es war gar nicht so leicht, an den starrenden Leuten vorbeizugehen.
    Wir bekamen fünfzehn Minuten Zeit zum Pinkeln und um uns an den Automaten etwas zu kaufen. Ich gab einen von meinen sechs Dollar für eine Dose Fruchtsaft aus, die ich unter dem aufmerksamen Blick des Wachmannes in schnellen Schlucken leeren musste, weil uns vor Besteigen des Busses alle Metallgegenstände abgenommen wurden.
    Während wir auf den Fahrer warteten, machten ein paar von den Frauen Small talk mit den Wachleuten. Als wir schließlich wieder drinnen waren, durften die Frauen, die mit den Aufsehern geredet hatten, weiter nach vorne, weg von den Dieselabgasen. Ich musste weiter nach hinten. Das war der Lohn dafür, dass ich mich für die Schwangere eingesetzt hatte.
    Es war drei Uhr, als der Bus durch das Haupttor von Coolis fuhr. Ein schwerbewaffneter Aufseher überwachte, wie unsere Fesseln von der Stange gelöst und wir in den Gefängnishof geführt wurden. Ich landete hinter der Schwangeren. Sie war klein und dunkel wie Nicola Aguinaldo und schämte sich schrecklich dafür, dass sie sich auf ihre Kleidung übergeben hatte. Sie versuchte, schüchtern um Hilfe zu bitten, aber keiner der Wachleute reagierte. Sie waren damit beschäftigt, uns zu zählen und Listen zu vergleichen. Hier wurden die Schafe von den Bocken getrennt - einige wanderten ins Gefängnis, die anderen in die Untersuchungshaft.
    »Die Frau hier braucht Hilfe», sagte ich zu einem der Wachmänner neben mir.
    Als er mir keine Beachtung schenkte, wiederholte ich das, was ich gesagt hatte, doch die Frau neben mir fauchte mich an und trat mir auf den linken Fuß. »Sei still. Wenn sie unterbrochen werden, fangen sie wieder von vorn an, und ich muss unbedingt aufs Klo.«
    Jetzt wehte ein Geruch von Urin von der Schwangeren herüber, und sie begann zu weinen. Die Wachleute achteten nicht auf sie und begannen wieder zu zählen. Als ich schließlich Sorge bekam, dass die Frau angesichts der Sonne und der langen Steherei in Ohnmacht fallen könnte, riefen die Aufseher uns namentlich auf. Meine Leidensgenossinnen verschwanden eine nach der anderen in dem Gebäude. Es verging eine weitere halbe Stunde. Inzwischen hätte ich auch dringend eine Toilette gebraucht, aber wir kamen in alphabetischer Reihenfolge dran. Es waren nur noch drei Frauen übrig, als ich aufgerufen wurde.
    »Warshki.«
    Ich trippelte mit meinen Fußfesseln vor. »Warshawski, nicht Warshki.«
    Ich hätte lieber den Mund halten sollen - wenn jemand etwas sagte, wurde er bestraft. Sie schickten mich wieder an meinen Platz zurück und riefen »White« und »Zarzuela« auf, während ich die Oberschenkel zusammenpresste, so gut es ging. Schließlich war ich wieder an der Reihe. Diesmal nannten sie mich nicht »Warshki«, sondern

Weitere Kostenlose Bücher