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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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»Warshitski«.
    An der Tür wurden meine Fesseln gelöst, und man nahm noch einmal meine Fingerabdrücke. Dann brachten zwei Wachleute mich in einen Raum, wo ich meine gesamte Kleidung ausziehen und in die Hocke gehen musste, wo ich schließlich hustete und es nicht länger schaffte, den Urin zurückzuhalten. Ich schämte mich schrecklich. Ein Wachmann wies mich mit lauter Stimme an, in die Dusche zu gehen, die völlig verdreckt und voller Haare war. Danach erhielt ich eine saubere IDOC-Uniform, die Hose zu kurz für meine langen Beine und zu eng im Schritt, das Hemd dafür viel zu weit. Aber wenigstens konnte ich die Hose darunter geöffnet lassen.
    Hier wurden mir endlich die Fußfesseln abgenommen. Ein Wachmann brachte mich durch eine Reihe verschlossener Flure zum Flügel des Untersuchungsgefängnisses. Um fünf reihte ich mich in die Warteschlange im Speisesaal ein und erhielt ein spezielles Festessen zum Vierten Juli: steinhartes Brathühnchen, matschige grüne Bohnen, Maiskolben und Apfelkompott auf etwas, das aussah wie Pappe. Das Zeug war so hart, dass wir es mit dem Plastikbesteck, das man uns gereicht hatte, nicht schneiden konnten, also nahmen die meisten Frauen ihr Essen in die Hand.
    Ich biss gerade in den Maiskolben, als ich etwas an meinem Bein spürte. Ich schaute hinunter und sah, wie eine Kakerlake heraufkrabbelte, um zu meinem Teller zu gelangen. Nachdem ich sie angewidert weggewischt hatte, sah ich erst, dass Boden und Tisch voll von den Viechern waren. Ich versuchte aufzustehen, aber ein Aufseher drückte mich sofort wieder auf meinen Sitz. Obwohl ich seit der Mahlzeit, die Morrell mir tags zuvor in Pilsen spendiert hatte, nichts mehr zu mir genommen hatte, hatte ich jetzt keinen Appetit mehr. Ich schnippte immer wieder reale und eingebildete Kakerlaken von meinen Armen und Beinen, bis die Wachleute endlich bereit waren, uns zu unseren Zellen zu bringen.
    Um neun wurde ich zusammen mit einer schwarzen Frau, die jung genug war, um meine Tochter zu sein, und mir erzählte, sie sei wegen Crack-Besitzes festgenommen worden, in einen zweieinhalb mal knapp vier Meter großen Raum gesperrt. Wir hatten Etagenbetten, deren Metallgestell fest in der Wand verdübelt war, darauf eine dünne Matratze, ein Nylonlaken und jeweils eine Decke. Eine Toilette sowie ein Waschbecken, die aus einem einzigen Stück Edelstahl bestanden, waren im Betonboden verankert. Im Gefängnis gibt es keine Privatsphäre - ich würde lernen müssen, wirklich alles in Gesellschaft von anderen zu machen.
    Das Waschbecken war genau wie zuvor die Dusche völlig verdreckt und voller Haare. Ich hatte keine Ahnung, wie ich an Seife und Reinigungsmittel kommen sollte, um es zu säubern, damit ich mir darin die Zähne putzen konnte - aber ich hatte auch keine Zahnbürste.
    Meine Zellengenossin war wütend und nervös und rauchte die ganze Zeit, so dass ich schon bald Kopfweh bekam. Irgendwann würde ich sie bitten müssen, damit aufzuhören, aber ich wollte vorerst keinen Streit provozieren.
    Ich war erschöpft, mir war schlecht, die Schultern taten mir weh, aber ich konnte nicht schlafen. Es machte mir angst, in einen Raum gesperrt und der Laune von Männern und Frauen in Uniform ausgesetzt zu sein. Ich lag die ganze Nacht starr auf der schmalen Matratze und hörte die Rufe und Gebete aus den anderen Zellen herüberdringen. Ich bin kräftig und von den Straßen der South Side etliches gewöhnt, aber das, was ich hier erlebte, grenzte schon fast an Massenhysterie. Von Zeit zu Zeit döste ich ein, doch dann schrie wieder eine Frau auf, oder meine Zellengenossin murmelte etwas im Schlaf, und schon war ich wieder wach. Ich war fast froh, als um fünf ein Aufseher kam, um uns fürs Frühstück und die erste Abzählung des Tages zu wecken.

Kleines Spiel auf kleinem Platz
    Den ganzen Sonntag bemühte ich mich um eine Erlaubnis zu telefonieren, erhielt aber erst einen Termin am Montag nachmittag. Und den ganzen Sonntag war ich wütend über meine Inhaftierung, ohne irgend etwas dagegen unternehmen zu können. In dem Gebäude herrschte eine Atmosphäre ohnmächtigen Zorns. Wohin wir auch gingen, die Wachleute beobachteten uns durch dicke Glasfenster oder über Monitore, um eventuell aufflammende Aggressionen im Keim ersticken zu können.
    Am gelassensten waren die Frauen, die schon seit ein paar Monaten im Trakt des Untersuchungsgefängnisses auf ihre Verhandlung warteten. Ihnen hatte man entweder die Freilassung auf Kaution verweigert, oder -

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