Die verschwundene Frau
den Wagen identifizieren könnte, gehen die Beamten normalerweise ganz nach Vorschrift vor. Ich hab' den Wagen bloß zu Cheviot bringen lassen, weil Lemour so aggressiv war, dass ich meine Bedenken hatte. Eine halbe Stunde später hat er mich auf der Straße bedroht, und da habe ich mich in meiner Vorsicht bestätigt gefühlt.«
Freeman lächelte nun seinerseits verkniffen. »Vic, es sieht dir ähnlich, alles selbst in die Hand zu nehmen. Die Polizei braucht deinen Wagen - als Beweisstück in einem Totschlagsfall. Könntest du mir als deinem langjährigen Anwalt einen großen Gefallen tun und den Trans Am bis heute abend vorbeibringen? Dafür wäre ich dir wirklich dankbar. Sag Callie Bescheid - die sagt Drummond, dass die Polizeitechniker den Wagen von Cheviot abholen können. Und beginn um Himmels willen keinen Rachefeldzug gegen Lemour. Deine Zeit kannst du wirklich besser nutzen. Aber jetzt muss ich los zu einer Besprechung, und zuvor würde ich mir gern noch ein Sandwich kaufen.«
Als er zur Tür ging, sagte ich: »Bevor du verschwindest, Freeman: Hast du gewusst, dass die Tote vor ihrer Festnahme draußen in Oak Brook bei den Baladines als Kindermädchen gearbeitet hat? Ich gehe mal davon aus, dass das derselbe Baladine ist, der Carnifice Security leitet. Macht er in irgendeiner Weise seinen Einfluss auf die Staatsanwaltschaft geltend?«
»Könntest du das bitte auch Callie sagen? Sie wird das ebenfalls notieren.«
»Und noch was Interessantes: Die Leiche der Frau wurde heute nacht vom Leichenschauhaus freigegeben. Bevor Vishnikov sie obduzieren konnte. Wer könnte so etwas besser arrangieren als ein Polizeibeamter?«
»Vic, hör auf mit der Hexenjagd auf Lemour. Egal, wer diese Frau war und was Lemour oder vielleicht sogar Baladine mit ihr vorhat: Sie ist es nicht wert, dass du deinen Beruf aufs Spiel setzt. Und offen gestanden hast du weder die finanziellen Ressourcen noch die Körperkraft, um dich mit jemandem wie Baladine anzulegen, also überlass die Sache der Chicagoer Polizei, ja?«
Ich presste die Lippen zusammen, folgte ihm aber hinaus ins Vorzimmer, wo Freeman Callie eine ganze Reihe von Anweisungen gab - die meisten davon betrafen andere Mandanten. Meinem Fall wandte er sich ganz am Schluss zu.
»Vic hat ein paar Informationen für Sie. Sie wird Ihnen sagen, wo ihr Wagen ist, damit Sie Gerhardt Drummond von der Staatsanwaltschaft anrufen und es ihm mitteilen können, stimmt's, Vic?« Er bedachte mich mit einem boshaften Grinsen und setzte sich in Richtung Aufzug in Bewegung.
Als ich Callie Mary Louises Telefonnummer und alles andere gesagt hatte, ging auch ich hinaus. Unten im Eingangsbereich rief ich selbst Mary Louise an, um ihr mitzuteilen, was Freeman wollte, erreichte aber nur ihren Anrufbeantworter. Sie war ziemlich viel unterwegs wegen der Kinder, ihrer Arbeit für mich und ihrer Kurse. Ich hinterließ eine möglichst genaue Erklärung auf Band und bat sie, meine Handynummer zu wählen, falls sie irgendwelche Fragen hätte.
Dann ließ ich stirnrunzelnd den Blick über die Fast-Food-Stände im Eingangsbereich schweifen. Früher hätte man in den kleinen Läden im Loop eine hausgemachte Suppe oder ein ordentliches Sandwich bekommen, aber in den neuen Gebäuden waren die ganzen Läden ins Innere verlagert, an die sogenannten Plazas, wo man das Geschäft besser kontrollieren konnte. Und auch dort waren die kleinen Coffee-Shops inzwischen Fast-Food-Ketten gewichen. Ich kaufte mir etwas, das sich »Griechischer Salat« nannte -wahrscheinlich, weil sich obenauf zwei Oliven und ein Häppchen Feta-Käse befanden -, und ging zu meinem Auto.
Mary Louise hatte mir am Morgen die Privatnummer der Baladines gegeben. Ich setzte mich in meinen Wagen, versuchte, beim Essen keine Ölflecken auf mein Revers zu kleckern, und rief in Oak Brook an. Wenn Robert Baladine beschloss, mir die Beine brechen oder eine Bombe in mein Büro werfen zu lassen, konnte Freeman ja ein paar hundertmal »Hab' ich's dir nicht gesagt« an meinem Krankenbett rufen.
Es meldete sich eine Frau mit starkem Akzent. Nach einer ganzen Weile guten Zuredens stellte sie mich zu Eleanor Baladine durch. »Ms. Baladine? Mein Name ist V. I. Warshawski. Ich bin Detective. Wussten Sie, dass Nicola Aguinaldo aus dem Gefängnis ausgebrochen ist?«
Am anderen Ende der Leitung war es so still, dass ich einen Augenblick lang dachte, die Verbindung sei unterbrochen worden. »Ausgebrochen? Wie hat sie das denn gemacht?«
Die Antwort war so
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