Die verschwundene Frau
und mich mit Eleanor Baladine über Nicola Aguinaldo unterhalten beziehungsweise mir Nicola Aguinaldos Wohnung in Uptown ansehen. Wichtiger war im Augenblick eigentlich nur, an das Kleid heranzukommen, das Nicola Aguinaldo in jener Nacht getragen hatte. Ich machte mich auf den Weg ins Büro. Sobald ich dort war, rief ich Lotty an.
»Du hast Glück, Vic. Der Diensthabende in der Notaufnahme war so gewissenhaft, dass er die Vorschriften alle genau befolgt und sogar die Kleidung in einen Sack gestopft und mit einem Etikett versehen hat. Willst du die Sachen abholen?«
»Nein. Ich will nicht, dass irgend jemand auf die Idee kommt, ich könnte mir daran zu schaffen gemacht haben. Könnte der Mann von der Notaufnahme veranlassen, dass sie zu Cheviot geschickt werden? Zusammen mit einer Notiz, wo die Sachen waren, seit man sie der armen Ms. Aguinaldo gestern ausgezogen hat. Soll ich Max selber anrufen und darum bitten? Oder könntest du das machen?«
Sie sagte, wahrscheinlich werde alles schneller gehen, wenn sie sich selbst darum kümmerte. »Und was den Bericht der Sanitäter anbelangt: Max wird Cynthia bitten, dir eine Kopie davon zu faxen.« Dann legte sie auf, weil der nächste Patient bereits vor ihrem Sprechzimmer wartete.
Zu den Dingen, in die ich beim Einzug in mein neues Büro investiert hatte, gehörten detaillierte Straßenkarten von den meisten Bundesstaaten sowie eine Kommode, in der ich sie verstauen konnte. Ich holte die Karten für das ländliche Georgia, wo sich eines der problematischen Gebiete von Continental United befand, in der Hoffnung heraus, nicht persönlich hinfahren zu müssen, um herauszufinden, warum auf der County Road G immer so viele Reifen platzten. Als ich gerade auf der Karte eine Linie von Hancock's Crossing, dem Ort, wo sich das Lager von Continental befand, zu der Kreuzung County Road G/Ludgate Road zog, rief die Sekretärin von Freeman Carter an.
»Freeman möchte mit dir sprechen, Vic. Er hätte noch einen Termin um Viertel nach zwölf frei und lässt fragen, ob du in seinem Büro vorbeikommen könntest.«
Ich dankte ihr und wandte mich wieder meinen Karten zu. Mit ziemlicher Sicherheit hatte ein Fahrer oder ein Kurier an der Ecke eine Werkstatt, jedenfalls jemand, der dafür sorgen konnte, dass die Lastwagen eine bestimmte Strecke wählten, auf der der Betreffende dann Nägel ausstreute. Dann blieb den Fahrern nichts anderes übrig, als per Anhalter bis zu der Werkstatt zu fahren, wo sich die Leute dann um die Reifen kümmerten. Ich rief den Personalchef an, mit dem ich mich am Vortag unterhalten hatte, und bat ihn, mir Kopien der Reparaturrechnungen zuzufaxen. Es wäre ein ziemlicher Aufwand, wenn ich nach Georgia fahren und mich persönlich mit den Leuten dort auseinandersetzen müsste, also hoffte ich, den Fall vom Telefon aus lösen zu können.
Vishnikov rief zurück, als ich mich gerade auf den Weg zu Freeman Carter machen wollte. »Vic! Was ist denn los? Soll ich dir helfen, 'ne Leiche zu verstecken?«
»Dazu könnte es durchaus noch kommen, wenn ein gewisser Lemour von der Polizei mich weiter so drangsaliert. Aber hier geht's um eine Leiche, die ihr schon habt - Nicola Aguinaldo. Sie ist gestern im OP des Beth Israel gestorben und zu spät zu euch gekommen, als dass du dich noch mit ihr hättest beschäftigen können.«
Schweigen am anderen Ende. »Das ist merkwürdig. Jetzt erinnere ich mich wieder: Sie ist am späten Vormittag reingekommen. Ich hab' sie mir rasch angeschaut - irgendwie sah die Sache ungewöhnlich aus, also wollte ich die Obduktion persönlich machen, aber sie war nicht... Wart mal einen Augenblick, während ich das überprüfe.«
Er legte den Hörer weg. Ich hörte, wie Stühle gerückt wurden, dann Stimmengemurmel und eine Tür, die sich schloss. Ich wartete gut fünf Minuten, bis Vishnikov sich wieder meldete.
»Vic, da ist ziemlich was schiefgegangen. Irgendsoein Idiot hat die Leiche gestern nacht freigegeben. Ich kann nicht mal rausfinden, wer - es ist ein Formular ausgefüllt, aber nicht unterschrieben worden.«
»Der Familie freigegeben?« fragte ich erstaunt. »Als ich gestern abend angerufen habe, hatten die keinerlei Namen von Verwandten.«
»Auf dem Formular steht, dass die Mutter von der jungen Frau Anspruch auf die Leiche erhoben hat. Wie das dann weiterging - nun, das steht hier nicht. Ich muss los. Ich muss.«
Ich sprach hastig, damit er mich hörte, bevor er auflegte. »Wieso war ihre Leiche ungewöhnlich, und warum wolltest du
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