Die verschwundene Frau
merkwürdig, dass ich gern gewusst hätte, was sie dachte. »Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß, wenn wir uns treffen. Wir müssen uns so bald wie möglich unterhalten. Können Sie mir beschreiben, wie ich zu Ihnen komme? Ich habe Ihre Adresse, aber in den Vororten kenne ich mich nicht aus.«
»Äh, Ms.... Muss es unbedingt heute nachmittag sein?« Hatte sie einen Termin mit dem Bridge-Club? Nein, die reiche Frau von heute machte so etwas nicht mehr. Wahrscheinlich wollte sie zum Tennis oder zu ihrer Kunstgruppe.
»Ja. Je schneller ich an Informationen herankomme, desto schneller finde ich auch heraus, wo sie hinwollte, als sie aus Coolis geflohen ist. Soweit ich weiß, war sie zwei Jahre lang bei Ihnen beschäftigt. Ich würde gern erfahren, was Sie über ihre Bekannten wissen.«
»Sie war mein Kindermädchen. Ich habe mich mit ihr nicht über ihre Bekannten unterhalten.«
»Trotzdem werden Sie wohl irgendwelche Referenzen verlangt haben, als Sie sie eingestellt haben.« Ich versuchte, vernünftig zu klingen, nicht wie eine gereizte alte Linke.
»Na schön.« Nach einem tiefen Seufzer gab sie mir genaue Anweisungen, wie ich am besten zu ihr käme: Ich sollte dem Eisenhower Expressway bis ganz zum Ende folgen, dann auf die Roosevelt Road fahren und schließlich in die kurvigen kleinen Straßen in einer der exklusivsten kleinen Wohnanlagen der Gegend.
Ein Plausch am Pool
Als ich eine halbe Stunde später in die Gateway Terrace einbog, dachte ich, dass »Wohnanlage« im Sinne von gemeinschaftlichem Leben wirklich ein merkwürdiges Wort war für eine Ansammlung von Häusern, die die Menschen so gründlich isolierten. Jedes dieser Hauser - wenn man ein Gebäude mit zwanzig Zimmern und vier Kaminen so nennen kann - lag so weit hinter Bäumen und Zäunen versteckt, dass man nur Teile der Fassaden oder Giebel sah. Es gab keine Gehsteige, weil von hier draußen ohnehin niemand zu Fuß in die Stadt oder ins Einkaufszentrum gehen konnte. Ich kam an ein paar Kindern auf Fahrrädern vorbei und wurde meinerseits von einem Jaguar XJ-8 Kabrio, in dem eine Frau mit wehenden blonden Haaren saß, sowie von einer schwarzen Mercedes Limousine überholt. Sonst tat sich auf der Straße nichts, bis ich die Nummer dreiundfünfzig erreichte. Ein ganz schöner Kontrast zu den Straßen von Uptown, die immer voller Menschen und Müll waren.
Ich stellte den zerbeulten Skylark vor dem Tor ab und suchte nach dem Eingang. Ein großes Schild teilte mir mit, dass das Anwesen von Total Security Systems (einer Tochter von Carnifice Security) bewacht wurde und der Zaun unter Strom stand, es sich also nicht lohnte, darüber zu klettern. Vielleicht, dachte ich, hatte eine der Spitzen da oben die Unterleibsverletzungen von Nicola Aguinaldo verursacht. Es konnte ja gut sein, dass sie von Coolis hierher geflohen war, um Hilfe bei ihrer früheren Arbeitgebern zu suchen, dass sie sich dabei auf dem Zaun aufgespießt und sie sie schließlich in der Nähe ihrer Wohnung abgeladen hatten, damit man einen zufällig vorbeikommenden Fahrer wie mich für ihre Verletzungen verantwortlich machen konnte.
Wahrend ich den Blick über das Anwesen schweifen ließ, bemerkte ich, dass jemand auf der anderen Seite mich dabei beobachtete. Ein ungefähr zehnjähriger Junge mit rundem Gesicht trat naher, als er sah, dass ich ihn entdeckt hatte. Er trug eine Jeans und ein T-Shirt mit dem Emblem der Space Berets - der große Action-Hit von Global - auf der Brust.
»Hallo«, rief ich ihm zu. »Ich bin Detective V. I. Warshawski aus Chicago. Deine Mutter erwartet mich.«
»Sie müssen erst im Haus anrufen«, sagte er, kam näher und deutete auf eine Nische mit einem Telefon darin.
Der Stahlkasten war so glatt, dass ich ihn nicht bemerkt hatte Als ich die Hand danach ausstreckte, glitt die Abdeckung mit einem leisen Geräusch zurück, aber bevor ich den Hörer dahinter nehmen konnte, öffnete mir der Junge schon das Tor.
»Eigentlich darf ich das nicht, aber wenn Sie bei der Chicagoer Polizei sind, geht das wahrscheinlich in Ordnung. Ist irgendwas mit Nicola?»
Ich war verblüfft und fragte mich, ob seine Mutter ihm von mir erzählt hatte »Wie kommst du denn auf die Idee?«
»Polizisten waren bis jetzt bloß ein einziges Mal hier, und zwar, als Mom Nicola hat festnehmen lassen. Sollen Sie diesmal Rosario mitnehmen?«
Ich bat ihn, einen Augenblick zu warten, bis ich meinen Wagen aus der Einfahrt weggebracht hätte, doch er meinte, er würde gern mit mir zum Haus
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