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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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scheinen auch zu den Leuten zu gehören, die sich nicht entscheiden können, ob ich nun weiter nachforschen soll oder nicht. Ich muss jemanden finden, der mir etwas über Nicolas Privatleben sagen kann. Vielleicht würde mir ihre Mutter nichts erzählen, aber möglicherweise habe ich bei ihrem Kind mehr Glück. Kinder wissen oft ziemlich genau Bescheid über das, was ihre Mütter machen.«
    Er trommelte mit den Fingern auf der Armlehne herum, während er über das, was ich gesagt hatte, nachdachte, doch schließlich schüttelte er den Kopf. »Das Problem ist nur: Je mehr Leute mit Senora Mercedes reden, desto riskanter wird ihre Lage.«
    »Riskanter?«
    »Ja. Ihr droht die Abschiebung. Sie möchte in Amerika bleiben, damit ihre Enkelin eine ordentliche Ausbildung bekommen und etwas Besseres werden kann als Kindermädchen oder Fabrikarbeiterin. Ich konnte versuchen, für Sie Fragen zu stellen.«
    Ich ließ mich widerwillig auf seinen Vorschlag ein, denn ich hasse es, einen wichtigen Teil der Ermittlungen jemand anders zu überlassen, besonders dann, wenn ich nicht weiß, wie gut dieser Jemand ist.
    Er erhob sich, um zu gehen, warf aber zuerst noch einen bewundernden Blick auf das Klavier. »Sie scheinen es mit der Musik ziemlich ernst zu meinen, denn sonst hätten Sie keinen richtigen Stutzflügel in der Wohnung. Ich spiele auch ein bisschen, allerdings nicht auf einem so schönen Instrument.«
    »Meine Mutter war die Musikerin in der Familie. Einer ihrer alten Freunde wartet für mich den Flügel, aber ich habe mich nie wirklich aufs Spielen konzentriert.« Ich hatte mich schon als Kind immer lieber bewegt, und die Übungsstunden waren eine Qual gewesen, wenn ich mich danach sehnte zu laufen oder zu schwimmen.
    Morrell bedachte mich mit dem gleichen verlegen-spöttischen Lächeln, das ich schon von dem Foto kannte, und setzte sich auf den Klavierhocker, um das Instrument auszuprobieren. Er spielte mit für einen Amateur ungewöhnlichem Gefühl einen Teil einer ChopinNocturne. Als er die Noten zu »Erbarme dich« entdeckte, begann er zu spielen, und ich sang dazu. Bach wirkt immer beruhigend auf mich. Doch auch diese Ruhe versetzte mich nicht in die Lage zu beurteilen, ob Morrell, der sich mittlerweile mit einer Entschuldigung dafür, dass er ein wenig mit seinem Können angegeben halte, verabschiedet hatte, im Hinblick auf Nicola Aguinaldos Mutter die Wahrheit sagte. Wenn sie die Leiche nicht hatte, wo steckte sie dann?
    Ich ging hinunter zu Mr. Contreras. Wie ich es mir schon gedacht hatte, war er aufgeblieben, um zu sehen, wie lange mein Besucher mir Gesellschaft leisten würde.
    »Würden Sie mich morgen gern begleiten?« fragte ich ihn, bevor er irgend etwas über Morrell sagen konnte. »Sie könnten den trauernden Großvater spielen, dessen Lieblingsenkelin aus dem Gefängnis geflohen und eines traurigen Todes gestorben ist.«
    Sein Gesicht hellte sich sofort auf.

Gefängnismauern
    Am nächsten Morgen steckte ich, während Mary Louise an meinem Schreibtisch Akten ordnete, meine Straßenkarten ein und machte mich zusammen mit Mr. Contreras und den Hunden auf den langen Weg nach Coolis. Der Auspuff schepperte schlimmer als je zuvor, und da die Klimaanlage immer noch nicht funktionierte, mussten wir mit offenen Fenstern fahren.
    »Der Auspuff hat sich noch nicht ganz so schlimm angehört, wie wir den Wagen gekauft haben«, meinte Mr. Contreras, als wir an der Elgin-Mautstelle hielten, um unsere Vierteldollarmünzen einzuwerfen. »Der Kerl hat ihn wahrscheinlich mit Isolierband geklebt, damit wir's nicht so schnell merken.«
    »Hoffen wir mal, dass das Ding hält, bis wir wieder in Chicago sind.«
    Die Hunde streckten ihre Köpfe zu den Fenstern hinaus und wechselten hin und wieder die Seite, als wir schließlich aufs Land hinaus kamen und sie den Fluss rochen. Westlich von Rockford machten wir eine Mittagspause. Mr. Contreras war nur allzu bereit gewesen, mir zu helfen, aber er konnte seine Rolle noch nicht gut genug, also gingen wir, während die Hunde im Fox River schwammen, seinen Text so lange durch, bis er sich sicher fühlte.
    Trotz der langen Mittagspause schafften wir es, mit einer konstanten Geschwindigkeit von hundertzehn Stundenkilometern -mehr gab die Rostlaube nicht her -, kurz nach zwölf in Coolis einzutrudeln, einem hübschen Städtchen, das in einem Tal zwischen zwei ungefähr fünfzehn Kilometer westlich in den Mississippi mündenden kleinen Flüssen lag. Im neunzehnten Jahrhundert war der Ort

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