Die verschwundene Lady (German Edition)
kann keiner uns hindern.
Henrys Frau hat ihn wissen lassen, sie würde niemals in eine Scheidung einwilligen und ihn in seinen Kreisen unmöglich machen, sollte er sich ihren Wünschen nicht weiter unterwerfen. Dieser Person ist alles zuzutrauen. Deshalb ziehen wir diesen Weg vor, da sie uns so nichts anhaben kann. - Ich hoffe, dass Ihr mich versteht. Mein Glück mit Henry geht mir über alles. Anbei als Gruß und Beweis, da ich hörte, wie Ihr Euch sorgt und auf welch absurde Gedanken Ihr verfallt, ein Foto, dass es mir gut geht . - Ich küsse und umarme Dich, Anne, und auch Dich, lieber, treuer Verehrer Peter.
Marion Carmichael.
»Äußerst merkwürdig«, sagte Anne. »Von dem Geld ist in diesem Brief keine Rede. Ich würde es meiner Mutter ja gönnen, wenn ich davon überzeugt wäre, dass es sich so verhält, wie sie schreibt.«
Anne betrachtete das Foto. Es zeigte ihre Mutter in ihrem blauen Cocktailkleid in einem luxuriös eingerichteten Herrenzimmer. Man sah, dass es sich dabei um einen Adelssitz handelte. Mrs. Carmichael stand vor einem Marmorkamin, neben dem ein Gemälde hing, bei einer zierlichen Sitzgruppe. Der Tisch, auf dem eine Zeitung lag, und die Polsterstühle waren verschnörkelt und hatten feingedrechselte Beine.
Im Hintergrund befand sich ein großes, bis knapp unter den Boden reichendes Bogenfenster, durch das Tageslicht einfiel. Marion Carmichael lächelte. Doch es war kein herzliches, fröhliches Lächeln. Anne sah Angst in der Miene ihrer Mutter, die ein Außenstehender nicht unbedingt wahrgenommen hätte. Doch Anne, als Marion Carmichaels Tochter entging sie nicht.
Mrs. Carmichaels Blick flehte: Rettet mich. So interpretierte ihn Anne. Ihre Mutter trug eine Halskette mit funkelnden Juwelen, die Anne noch nie bei ihr gesehen hatte. Außerdem entdeckte Anne gleichfalls unbekannte Ohrringe sowie Armreif und Ringe.
Es handelte sich um sündteure, erlesene Stücke.
Diesen Schmuck hat mir mein Geliebter geschenkt, stand auf der Rückseite des Fotos, als kleinen Beweis seiner Liebe. Es ist der Familienschmuck, den jeweils die Lady trägt. Die andere war nie wert ihn zu tragen und ist nicht mehr die Lady.
»Kaum zu glauben«, sagte Anne. »Ein plumpes Täuschungsmanöver. Siehst du, wie blaß Mutter auf dem Bild ist, Onkel Peter? Das verdeckt auch das Make-up nicht. Ihre Haltung ist unnatürlich und angespannt. So sieht keine glückliche Frau aus.«
»Hm. Ich kann das nicht so gut beurteilen. Da ist noch etwas, Anne. Es betrifft Lord Kensington. Er hat England heute Vormittag verlassen und ist mit der Fähre über den Kanal abgereist. Das weiß ich aus zuverlässiger Quelle.« Stanwell räusperte sich. »Ich habe dafür gesorgt, dass ich es erfahre, wenn Lord Kensington England verlä ss t.«
»War er allein ?«, fragte Anne. »Befand sich jemand in seiner Begleitung?«
»Wie mir gesagt wurde nicht. Doch es wäre leicht für deine Mutter, getrennt von ihm zu reisen und ihn dann auf dem Festland zu treffen.«
»Nein, Onkel Peter, dort trifft sie ihn ganz bestimmt nicht. Mutter ist noch in England. - Siehst du die Zeitung am Tisch auf dem Foto? Wenn mich nicht alles täuscht, ist das die Wochenendausgabe der >Times<.«
»Sie ist es«, sagte Stanwell, Abonnent und leidenschaftlicher Leser der altehrwürdigen »Times«. »Der Hinweis ist klar zu verstehen. Er beweist, dass sich Marion am Wochenende noch bei guter Gesundheit befand.«
»Wie das blühende Leben sieht sie nicht aus. Aber sie lebt noch. Man kann es sich nicht leisten, sie zu. .. z u ...« Anne brachte die Worte töten oder umzubringen nicht über die Lippen. »Für immer aus dem Weg zu räumen. Für die Transferierung des Vermögens könnte ihre Unterschrift noch einmal gebraucht werden. Ich bin überzeugt, dass Lord Henrys Komplicen Mutter gefangen halten - in seinem Schloss in Walton - on - Thames.«
»Wie sollen wir das herausfinden? Bei der Sachlage kann ich keine Haussuchung erreichen, falls New Scotland Yard überhaupt auf deine Vermutung eingehen würde, Anne.«
»Es gibt nur einen Weg, es zu erfahren«, sagte Anne entschlossen. »Ich dringe heimlich ins Schloss ein, finde Mutter und befreie sie.«
»Das willst du tatsächlich wagen ?«, fragte Stanwell erschrocken. »Du weißt nicht, was das für Menschen sind. Dir kann etwas zustoßen. Und stelle es dir nicht so einfach vor, deine Mutter zu befreien.«
»Wenn ich es nicht kann, sie jedoch als Gefangene sehe und dann bei der Polizei aussage, genügt das doch wohl
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