Die Verschwundenen
zurückgeblieben sind. Abfällen. Er ist in Ordnung. Nimmt nichts mit, was jemand vermissen könnte.«
»Und dieser Jamie hat etwas gesehen?«
»Er hat die Frau gesehen, als sie noch lebte. Sie lief zwischen den Containern herum. Kam von der Straße und ging geradenwegs zum Wasser. Jamie hat sich verdrückt und weiß nicht genau, was dann geschah. Aber er glaubt, die Frau habe sich mit jemandem getroffen. Und er hat Schüsse gehört.«
»Schüsse?« Davon stand nichts in den Akten. »Und Sie haben nichts davon mitbekommen?«
»Wenn es zwischen den Mauern und den Aufbauten am Ende des Piers passiert ist, geht der Schall nach oben oder zu den Seiten. Da höre ich nichts, wenn ich in meiner Kammer sitze.«
»Und den Cops haben Sie nichts davon erzählt?«
»Als der Officer hier seine Fragen gestellt hat, wusste ich selbst noch nichts davon. Jamie habe ich erst später wiedergetroffen, und er ist nicht besonders redselig. Würde ihm nicht gefallen, wenn ich die Cops auf ihn aufmerksam mache und er belästigt wird. Armer Bursche …«
»Sie haben Informationen zurückgehalten«, sagte Cotton streng.
Phillips schaute verlegen drein. »Wissen Sie, Sir, im Grunde dürfte Jamie sich gar nicht hier herumtreiben. Wenn das rauskommt, kriege ich selbst Ärger. Und was er mir erzählt hat … Es klang nicht so, als würde das weiterhelfen. Er hat ja niemanden gesehen außer der Frau. Und was die Schüsse angeht … die Frau ist doch ertrunken, nicht wahr?«
2
Decker musterte Cotton, als sie am nächsten Morgen die Einsatzzentrale betrat.
»Meine Güte, Cotton! Haben Sie gestern noch ein paar andere Clubs besucht? Wenn Sie kein frisches Hemd anhätten, könnte ich glatt auf den Gedanken kommen, Sie wären gar nicht zu Hause gewesen.«
Cotton winkte ab. »Ich habe letzte Nacht noch ein bisschen gearbeitet. Aber es hat sich gelohnt.«
»Ach ja?«
»Ja. Ich war bei den Docks und habe einen Zeugen gefunden. Ich konnte herausfinden, wo unsere Tote sich zuletzt aufgehalten hat, und ich habe mich dort gründlich umgesehen.«
Er gähnte ein wenig schuldbewusst. Bis vier Uhr früh hatte er gemeinsam mit Wachmann Phillips Zoll um Zoll die Wege und die Anlegestellen abgesucht, in deren Umgebung der »alte Jamie« den Lärm gehört hatte. Der Obdachlose selbst hatte sich leider nicht blicken lassen.
»Und? Was haben Sie gefunden?«
»Patronenhülsen. Und ein Stück von Robinskis Jacke an den Pieraufbauten. Liegt jetzt bei Hunter im Labor.«
»Aber Laura Robinski wurde nicht erschossen.«
»Richtig«, stimmte Cotton seiner Kollegin zu. »Schon gar nicht mit den Patronen, die ich bei den Docks entdeckt habe.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es waren Platzpatronen.«
»Platzpatronen? Das ergibt keinen Sinn«, befand Decker. »Wer lädt seine Waffe mit Platzpatronen, wenn er eine Zeugin umbringen will?«
»Es reicht auf jeden Fall, um jemanden zu erschrecken.« Cotton hatte in den letzten Stunden viel darüber nachgedacht. »Womöglich so sehr, dass der Betreffende in Panik ins Wasser springt – und schon sieht alles nach einem Unfall aus.«
Decker blickte zweifelnd drein. »Das wäre arg um die Ecke gedacht. Die Leute, die hinter Laura Robinski her waren, arbeiten nicht so. Ich glaube, wir sollten uns erst mal um den zweiten Schlüssel kümmern.«
»Ich habe heute Morgen schon dreimal bei dem Laden angerufen, aber es geht keiner ans Telefon!«
Cotton klang so beleidigt, dass Decker unwillkürlich lächeln musste. Tatsächlich dauerte es bis neun Uhr, ehe das Büro der Sicherheitsfirma besetzt war und sie in Erfahrung bringen konnten, wer Schlüssel zu Robinskis System erhalten hatte. SealEt hatte zwei Schlüssel geliefert. Keinen davon an Robinski selbst – eine Maklerin hatte sich um alles gekümmert.
*
Lydiah Bruckner wohnte auf Long Island, ein Stück außerhalb von New York an der »Goldküste« der Insel. Cotton und Decker verließen Manhattan über die Brooklyn Bridge und folgten von Queens aus der Interstate 495 nach Osten. Long Island war ein dicht besiedelter Landstrich, aber jenseits der Stadtgrenze verteilten sich die Bewohner auf kleinere Ortschaften, und die Gegend wurde aufgelockerter.
»Man sollte eigentlich meinen, dass sie als Maklerin näher bei ihren Kunden wohnt«, bemerkte Cotton.
»Ja. Auf der anderen Seite weiß sie als Maklerin vermutlich, wo man am schönsten wohnt, wenn man sich’s leisten kann«, antwortete Decker.
Sie erreichten die gesuchte Adresse im Norden von Lattingtown. Es war ein
Weitere Kostenlose Bücher