Die Versteckte Stadt: Thriller
trafen Lisa wie Nadelspitzen. „Weiß Mama davon?“
Max zuckte mit den Schultern. Er schob den Teller zurück. „Hat sie dir davon mal was erzählt?“
„Dass Papa eine andere Frau im Gartenhaus hat? Spinnst du?“
Lisa spürte, wie sich die Gedanken in ihrem Kopf verhedderten. Sie liebte ihren Vater über alles, sie wusste, dass er sehr stolz auf sie war, dass sie und er sich unendlich viel besser verstanden als Max und ihr Vater. Nicht zuletzt deshalb hatte er sie ja auch gebeten, mit Till über Max zu sprechen. Jetzt aber hatte sie erfahren, dass die beiden Jungen bei ihm im Gartenhaus gewesen waren, dass sie dort eine Frau gesehen hatten. Musste sie das nicht ihrem Vater erzählen - bevor es zu spät war? Bevor Max sich in eine Lage begeben haben würde, aus der er vielleicht nicht mehr herausfinden würde? Aber was würde ihr Vater dann mit Max machen? Und ihre Mutter? Sollte sie ihre Mutter einweihen? Auch wenn Lisa das so klar nicht denken konnte, spürte sie doch, dass das, was Max ihr gerade anvertraut hatte, etwas war, das sie selbst bedrohte.
„Vielleicht arbeitet die Frau mit Papa“, stieß Lisa hervor und sah Max an.
Aber der zog nur die Augenbrauen hoch. „Ja, vielleicht.“ Dann stützte er die Ellbogen auf den Tisch und bohrte die Fäuste in die Wangen. Sein Blick war ruhig, als wäre er auf alles gefasst. „Und? Sagst du es jetzt Papa, dass wir in dem Haus waren?“
„Nein, natürlich nicht, das hab ich dir doch gesagt“, verteidigte sich Lisa, aber sie wusste, dass das schwierig sein würde, dass sie, Max und Till vielleicht noch zu jung waren, um diese Dinge alleine zu handhaben.
„Wirklich nicht?“ Max lächelte. „Da bin ich ja mal gespannt.“ Er nahm die Arme herunter und stand auf. „Aber das sag ich dir. Wenn Papa Till wegschickt, weil du nicht den Mund gehalten hast, dann … “ Er schien kurz überlegen zu müssen. „ … dann köpf‘ ich deine Barbies.“
Er grinste sie an. Es war, als hätte jemand das Licht angeknipst. Lisa lachte und sprang auf. Sie liebte ihn, sie liebte Max. Sie ging um den Tisch herum und schlang die Arme um ihren Bruder. Sie mochte sich manchmal älter fühlen, aber sie war mehr als einen halben Kopf kleiner als er.
„Ich glaube nicht, dass Mama und Papa Till wieder wegschicken“, sagte sie. „Gestern hat Mama mir erzählt, dass Papa ihn auf unserer Schule angemeldet hat.“
Max strahlte sie an. „Und, freust du dich?“
‚Das geht dich nichts an!‘, rief etwas in ihr. „Warum nicht?“, wich sie ihrem Bruder aus und ließ ihn los. Sie war erleichtert gewesen, dass Till bei ihnen bleiben würde - unendlich erleichtert? Sie wusste nicht genau, was es war, aber als sie erfahren hatte, dass Till sie so bald nicht wieder verlassen würde, hatte sie sich gefühlt, als würde sie in einen riesigen Wattebausch fallen.
5
Till wollte in seinem Bett gerade unter die Decke mit dem aufgedruckten Sonnenaufgang schlüpfen, als es an der Tür klopfte.
„Ja?“
Die Tür öffnete sich einen Spalt und Max‘ Mutter sah zu ihm herein.
„Xaver liest Max noch eine Gutenachtgeschichte vor. Hast du Lust, mitzuhören?“
Till ließ die Decke, die er bereits in der Hand hatte, fallen und rannte zur Tür. „Super.“
Das hatte es bisher nicht gegeben. Wenn jemand vorgelesen hatte, dann war das Julia gewesen. Till vermutete, dass Bentheim es heute machte, weil er den Tag über verreist gewesen war und sich irgendwie freute, am Abend wieder daheim bei seiner Familie zu sein. Da wollten sie ihn nicht ausschließen und baten ihn gleich dazu. Dass er dankend abgelehnt hätte, kam nicht in Frage. Er konnte sich nicht erinnern, außer von Julia überhaupt jemals am Abend von jemandem etwas vorgelesen bekommen zu haben!
„Bengt war gerade erst zwölf Jahre alt geworden, als ihm das erste Mal der Gedanke kam, dass er sich das Leben enorm erleichtern konnte, wenn er bestimmte Sätze, die er immer wieder benutzte, durch einfache Zahlen ersetzte“, las Bentheim vor, als Till sich auf dem bequemen Sessel in Max‘ Zimmer eingerollt und mit einer Decke zugedeckt hatte. Max lag in seinem Bett, die Decke bis zum Kinn heraufgezogen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Sein Vater hatte auf dem Stuhl am Schreibtisch Platz genommen, Julia stand im Türrahmen, halb draußen, als wollte sie ohnehin gleich gehen.
Bentheim fuhr fort: „‘Wenn ich beim Essen das Salz will‘, sagte Bengt zu seiner Mutter, ‚nur um ein Beispiel zu nehmen. Dann habe ich
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