Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
Papier. Den letzten Stoß versetzte es ihm mit einem Biss in die
Kehle. Eine Fontäne purpurroten Blutes schoss aus seinem Hals. Das Tier nahm
einen letzten genüsslichen Bissen Fleisch aus dem Arm und ließ dann die
kreidebleichen blutverschmierten Überreste des Jungen liegen. Das Gesicht des
Wolfes war verklebt mit Blut und die Zähne waren rot. Der Hunger nach Fleisch
blitzte in seinen Augen. Gierig nahm das Tier ein anderes Opfer ins Visier.
Das kann nicht wahr sein. Das passiert nicht. Nein! Auf keinen Fall!
Das darf doch nicht…!
Grace zitterte bis ins Mark und ihre Knie wurden weich wie Brei. Doch
sie musste stehen bleiben. Das Geschehen zog an ihr vorbei, während sie
regungslos zuschaute und nicht eingriff, sie konnte einfach nicht. Wie
angewurzelt blickte sie über das Schlachtfeld. Die Schreie drangen nur gedämpft
in ihren Kopf, als wäre sie in einer anderen Welt. Sie konnte es nicht glauben. Das passiert nicht! Aber was sollte sie auch tun? Sie konnte nur ihr
eigenes Leben retten und das versuchte sie, mit der letzten Kraft. Warum auch
immer, aber die Wölfe jagten nur diejenigen, die entweder fortliefen oder die,
die auf sie zustürmten. In beiden Fällen ein klares Todesurteil. Doch sie und
Ceela und Jay und noch ein paar andere, die einfach stumm da standen, wurden
verschont. Als würden die Wölfe überhaupt nicht merken, dass sie existierten.
Das waren keine normalen Wölfe. In ihren Augen glänzte pure Lust auf
Menschenfleisch. Sie waren bestialisch und verdammt gefährlich. Sie waren
deutlich größer und viel breiter gebaut. Was waren das für Wölfe?
Reglos stand Ceela da. Sie hörte Schreie, laute verzweifelte
Todesschreie und sie roch das Blut, sie konnte förmlich den metallischen
Geschmack auf ihrer Zunge spüren. Sie hörte das Geräusch von reißender Kleidung
und aufplatzender Haut, wenn die Wölfe ihre Reißzähne in Menschenfleisch
gruben. Ihr Körper war stocksteif, wie festgefroren, während ihre Hände zitterten
wie Espenlaub. Ihr wurde warm und wieder kalt, beides gleichzeitig. Ihr Kopf
schien vor Gerüchen, Geschmäcken und Gefühlen fast zu explodieren. Ihre
Gedanken überschlugen sich und ihr Kreislauf spielte miese Spielchen mit ihr.
Ihr war schlecht, allein von dem Gedanken daran, was wahrscheinlich gerade vor
ihr passierte. In diesem Moment war sie froh nicht sehen zu können, doch auch
das half ihr nicht.
Die Übelkeit überwältigte sie, der bittere saure Magensaft stieg ihr in
den Mund.
Nicht jetzt! Verdammt, Ceela! Nicht jetzt!
Sie bemühte sich mit letzter Kraft und versuchte die widerliche Brühe
wieder unter zu schlucken. Dann wurde ihr wieder schlecht, von dem Geschmack.
Sie konnte nicht mehr, da passierte es. Mit einer uneleganten Seitwärtsbewegung
knallte sie auf den feuchten Boden und leerte ihren gesamten Mageninhalt aus.
Ihr Erbrochenes landete auf ihrer Kleidung, sie musste wieder brechen, doch es
gab nichts mehr, was noch in ihrem Körper war und so würgte sie elend und
sackte immer mehr in sich zusammen. Sie fing sich mit den Händen auf und
spürte, wie ihr eigenes Erbrochenes aus ihren Fäusten quellte. Sie war
leichenblass und ihr Atem ging schnell und stoßweise. Ihr Herz hämmerte gegen
ihre Brust, als wäre es eine Abrissbirne und sie ein altes Gebäude. Sie spürte
den ungebremsten Druck, der sich bei jedem Herzschlag anfühlte, als würde ihr
jemand von innen ein Messer in die Brust rammen.
Unter ihre tausend Gefühle und Gedanken mischte sich plötzlich eine
Erinnerung, zuerst matt und stumpf, verblasst. Doch dann trat sie ganz klar in
Anschein, der erste Aufenthalt im Basislager, das Gespräch durch die Tür, die
kalte Stimme
...Ropeys, vielleicht ein paar Dutzend Todesfälle, mehr auch nicht.
Das war es! Das musste es sein! Sie wusste nicht wie, aber dieses
Gespräch hing auf jeden Fall mit diesem Ereignis zusammen. Sie wollten es, es
war ihnen egal, dass die Ropeys reihenweise wegstarben, von Bestien in Stücke
gerissen wurden. Sie konnte es nicht fassen. Ihre Gedanken überschlugen sich,
Hitze, Kälte, Angst, Verzweiflung, Panik, Blut, sie hatte dieses Bild im Kopf,
dieses gewaltige Lache Blut, die sich hier wahrscheinlich über den ganzen Wald
ausbreitete. Die ganze Angst und Anspannung, die Gedanken und Erinnerungen, die
nur an ihr vorbeiflogen, in ihrem Kopf, ballten sich zu einem riesigen Klumpen,
der stetig wuchs. Immer größer wurde und ihr Kopf wurde immer kleiner, der
Platz beengt, kein Freiraum, immer größer, immer
Weitere Kostenlose Bücher