Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
härtere Schmerzen, Übelkeit,
sie sackte gänzlich in sich zusammen. Ihr Kopf schien zu explodieren. Dieser
gewaltige Klumpen von allen möglichen Gedanken und Gefühlen schien sie komplett
einzunehmen und ihren Kopf zu sprengen. In dem Moment wurde alles nur noch
schwärzer. Sie riss ihre Augen weiter auf, doch sie konnte nichts sehen, das würde
sie nie können. Erbärmlich kniete sie auf dem Boden und sackte unter der
Erkenntnis wieder zusammen, alles überwältigte sie und sie erbrach erneut
sauren Magensaft auf den kalten feuchten Boden. Der üble Geruch stieg ihr in
die Nase. Dann kippte sie wieder um.
Sie kauerte auf dem Boden, sie vernahm etwas. Eisiger Atem schlug ihr
von hinten ins Genick. Sie traute sich nicht, den Kopf zu drehen, doch sie
wusste, was sie erwartete. Der beißende Geruch von altem verwesendem Fleisch
stieg ihr in die Nase und da wusste sie es, sie würde nicht das erste Opfer
sein und noch lange nicht das Letzte…
Kapitel 22
Sie konnte es nicht fassen. Atemlos blickte Grace über das Schlachtfeld,
ihr Blick heftete sich an ein Gesicht, der Junge aus dem Bus, der Junge, dem
Lucas das Versprechen gegeben hatte, auf ihn aufzupassen. Genau dieser Junge
wurde eben nicht beschützt, weder von Lucas, noch von sonst wem. Er
lief von wahnsinnigerer Angst getrieben über den Waldboden im Käfig. Ein
älterer Mann hechtete ihm hinterher und drohte mehrmals das Gleichgewicht zu
verlieren, doch er fing sich jedes Mal wieder. Warum verfolgte er den Jungen?
Gebannt starrte Grace den beiden nach.
Was geht da vor sich? Was passiert gerade?
Wie ein Irrer stürzte sich der Alte von hinten auf den Jungen und warf
ihn zu Boden. Er begrub ihn unter sich. Der Junge fuchtelte mit den Armen und
den Beinen um sich, doch der Mann hatte schon sein Knie auf die Brust des
Jungen gepresst und drückte ihn so zu Boden. Heftig atmete der Junge ein und
aus und schrie. Die Schreie waren laut, panisch, verzweifelt. Ein Wolf nahm die
beiden ins Visier. Der Alte bemerkte ihn, dann lächelte er. Er grinste bis über
beide Ohren, als das Vieh mit einer rasenden Geschwindigkeit auf sie zu
stürmte. Flink war der Mann auf den Beinen und zerrte den Jungen wieder hoch,
dann schob er ihn vor seine Brust. Oh nein! Oh Gott, nein! Sie konnte
den Blick nicht lösen, während sie ganz still und regungslos da stand,
verfolgten ihre Augen weiter das Geschehen. Der Alte stemmte den Jungen hoch.
Hilflos zappelte der Junge, als seine Füße sich vom Boden lösten. Vergeblich,
der Alte hatte ihn eisern gefasst, dann wirbelte er herum und drückte den
Jungen von sich weg, er warf ihn förmlich in Richtung des Wolfes.
Nein, nein! Um Himmels willen, nein!
Grace konnte nicht mehr hinsehen, sie musste doch dem armen Jungen
helfen. Doch sie konnte nicht, wenn sie sich bewegen würde, dann würde auch sie
sterben. Die Wölfe jagten nur die, die sich bewegten, warum auch immer. Grace
kannte sich mit diesen Bestien nicht aus, doch sie wusste, sie konnte nichts
tun. Sie wollte wegsehen, ihren Blick lösen, doch es ging nicht, sie konnte
einfach nicht. Der Alte löste seine letzte Hand von dem Jungen.
Einen Moment lang befand sich der Junge völlig frei in der Luft. Wie in
Zeitlupe lief alles ab, Grace atmete tief ein. Dann wurde dieser ewige Moment
in Sekundenschnelle zerstört. Mit wahnsinniger Geschwindigkeit rauschte der
Wolf los und sprang ab.
Seine Füße verließen den Boden. Zweiter Atemzug. Der Junge weitete noch
einmal die Augen, noch ein letztes Mal, dann presste er die Augen fest
zusammen, doch auch unter den geschlossenen Lidern strömten die Tränen der
Todesangst hindurch. Ein letzter Schrei des Jungen. Dritter Atemzug. Es war
vorbei. Die Klauen des dunklen Wolfes bohrten sich in die magere Brust des
Jungen, er warf ihn zu Boden. Der Junge riss wieder die Augen auf und musste
würgen, dann spritzte ein Schwall Blut aus seinem Mund. Verkrampft schrie der
Junge und weinte, die Augen immer noch offen, sah er zu wie ihn die Bestie mit
den Klauen bearbeitete. Das Blut lief an seinem Kinn hinunter und tränkte alles
in tiefes Dunkelrot. Dann war es endgültig vorbei, die Augen des Wolfes
blitzten vor Blutshunger. Er rammte dem Jungen die blutgetränkten Reißzähne in
die Brust und bohrte in dem schmächtigen Körper herum.
KRACK .
Mindestens eine Rippe brach, bei dem zweiten Biss des Wolfes. Dann
zerriss er die Lungenflügel und der kleine Junge spuckte noch einen letzten
Schwall Blut, ehe er seinen letzten Atemzug nahm
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